One: Die einzige Chance (German Edition)
Erster Teil
Inseln
Prolog
Es war nicht leicht gewesen, unbemerkt auf die Insel zu kommen. Je reicher die Menschen waren, die Kayan töten sollte, desto mehr ließen sie sich einfallen, um ihre Privatsphäre und somit auch ihr Leben zu schützen. Der Plan musste perfekt sein. Jedes Mal. Doch genau das gefiel Kayan an seinem Job, dass man dafür Grips und Talent brauchte; ja, zum Töten brauchte man Talent, auch wenn keiner das wahrhaben wollte. Selbstverständlich wusste seine Familie nicht, womit er sein Geld verdiente. Geschickt hatte er sich eine zweite Identität aufgebaut. Eine Beraterfirma, die ab und zu Gewinn abwarf. Nichts Auffälliges. Sogar ein hübsches Büro hatte er dafür angemietet. Die Tarnung musste perfekt sein, für sein Leben im Leben, wie er es vor langer Zeit getauft hatte.
Er zündete sich ein Zigarillo an und behielt die Villa im Blick. In wenigen Minuten würde im Arbeitszimmer das Licht angehen, dann hatte er seinen Auftritt. Menschliches Handeln war vorhersehbar und das Ende eine schnelle Sache. Kayan wollte nicht quälen, er wollte töten, den Schalter ausknipsen, bevor die Zielperson begriff, was Sache war. Bei einem Kopfschuss stirbt der Mensch im Bruchteil einer Sekunde, das hatte er in einem Thriller gelesen. Er hoffte, dass hinter diesem Detail mehr Wahrheit steckte als hinter dem dämlichen Rest, den die Schreiberlinge dieser Welt wie Manna unters Volk streuten. Wie üblich hatte er das weitläufige Grundstück über Satellit ausgespäht, einen Grundriss angefertigt und die wichtigsten Daten auswendig gelernt. Er kannte das Fabrikat der Alarmanlage und er wusste, dass man erst vor wenigen Tagen ein unausgereiftes Software-Update aufgespielt hatte. Das genügte. Überwachungskameras, Geräuschsensoren, Drohnen. Sogar für ein paar Stunden einen Satelliten anzumieten, war für Kayan zur Routine geworden. Kaum ein Winkel der Erde war noch geschützt vor fremden Blicken, und jeder Mensch hinterließ Spuren. Wer diese Spuren lesen und miteinander verknüpfen konnte, war ein gemachter Mann. Nicht nur, wenn man wie er dafür tötete.
Dieses Mal war der Auftrag sehr umfangreich gewesen. Deshalb hatte Kayan die Recherchearbeit abgegeben. Outsourcing nannten das wohl richtige Manager. Zehntausend Dollar hatte ihn der Datensatz dieses Mannes gekostet. Inklusive aller Telefonnummern, Kontoverbindungen, Mailadressen und was es sonst noch in den Netzwerken zu finden gab. Kein billiges Vergnügen. Aber Qualität hatte ihren Preis; und das Doppelte würde er seinem Auftraggeber später für die Vorarbeit in Rechnung stellen.
Kayan lehnte sich gegen die Wand des Geräteschuppens. Vielleicht würde er hier draußen sogar das Läuten des Telefons hören, obwohl das Zirpen der Grillen sehr laut war. Unangenehm laut. Wenigstens regnete es nicht. Bei Regen hasste Kayan seinen Job. Obwohl die feuchtwarme Hitze fast denselben Effekt hatte.
Er zog sein Handy aus der Tasche. Der Empfang war okay. Er hatte die Beleuchtung so weit gedämpft, dass der Busch vor ihm nicht wie ein Weihnachtsbaum aufleuchtete. Dennoch dauerte es keine zwei Sekunden, bis ein Heer von Insekten summend um das Display kreiste. Er versuchte behutsam, sie wegzupusten.
Seine rechte Hand glitt in die Innentasche seiner Jacke und befühlte den Schalldämpfer seiner Ceska 83. Die Pistole hatte schon etliche Jahre auf dem Buckel. Eigentlich gehörte sie ins Museum. Aber sie arbeitete noch immer zuverlässig. In dem Fall konnte die moderne Technik nicht mithalten. Elektronik in Handfeuerwaffen war immer ein Risiko, das hatte er am eigenen Leib erfahren.
Er wählte die vierzehnstellige Telefonnummer und horchte in die Dunkelheit. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Das Klingeln, er konnte es tatsächlich hören.
Eins
Hongkong | 23 Grad | Bedeckt
Das Klingeln war unangenehm laut und schrill. Vincent Pinaz saß vor dem Mahagonischreibtisch in seinem Arbeitszimmer und zuckte zusammen. Er hatte den plärrenden Klingelton noch nicht oft gehört und er hasste ihn. Als »selbsterklärend« hatte der Techniker die Telefonanlage angepriesen. Lächerlich. Um diesen Apparat zu bedienen, brauchte man nicht weniger als ein Diplom. Das Display zeigte flackernde Ziffern, aber keinen der abgespeicherten Namen. Wahrscheinlich war das Ding jetzt schon kaputt. Natürlich war es das. Damit verdienten die Hersteller ja ihr Geld. Mit Serviceleistungen, die man nur deshalb in Anspruch nahm, weil die Geräte nach kürzester Zeit ein undurchsichtiges
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