Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
mein Tonfall auffiel. »Das kann ich nicht.«
Jasmine biss sich auf die Lippen und sagte nichts mehr. In Wahrheit hatte ich den Eindruck, dieses Gewässer im klassischen Bibelstil teilen zu können. Es würde einiges an Kraft kosten … aber ich hatte es drauf. Das Problem war, dass ich das vor den Hemlockleuten nicht machen wollte. Sie mochten nicht unsere Feinde sein, aber zu solcher Wassermagie waren nur wenige Leute imstande, und ich wollte meine Identität nicht preisgeben. Wir hatten ihnen sogar falsche Namen gesagt.
Dorian stieg ab und ging umher. Zu meiner Überraschung ließ er den See links liegen und besah sich stattdessen das Gelände, durch das wir gerade gekommen waren. Das Königreich – um welches es sich handelte, wusste niemand genau – bestand aus einer steinigen Landschaft mit einem schweren, sandigen Untergrund. Vegetation war spärlich, und in der Ferne erhoben sich felsige Gebirgsausläufer, die allmählich in ein Gebirge übergingen. Dorian murmelte irgendetwas vor sich hin und nickte schließlich zufrieden. Er wandte sich an einen jungen Mann aus dem Hemlockland, der anscheinend noch ein bisschen jünger als Pagiel war.
»Du«, sagte er. »Du besitzt eine gewisse Begabung für die Erdmagie, richtig?«
Der Junge blinzelte verblüfft. »Ähm, ja. Ich kann mit Steinen und Felsen umgehen – ich bildhauere manchmal damit.«
»Nun«, sagte Dorian. »Um die hehre Kunst geht es hier nicht, aber wir wollen hoffen, dass deine Fähigkeiten der Aufgabe gewachsen sind.«
»Was hast du vor?«, fragte Kiyo und machte keinen Hehl aus seinem Misstrauen. Er war vielleicht der Meinung, dass Dorian viel Nützliches beisteuern konnte, aber er hatte nicht vor, seine Entscheidungen unbesehen zu akzeptieren.
»Wir bauen uns unsere eigene Straße«, erklärte Dorian. »Mein junger Freund hier und ich – wie heißt du noch mal?«
»Kellum«, piepste der Junge.
»Kellum«, wiederholte Dorian. »Sehr schön. Kellum und ich werden aus Erde und Felsen eine Straße hinüber auf die andere Seite erschaffen. Beziehungsweise ich werde Erde und Felsen benutzen. Er wird mir mit den Felsen helfen. Es gibt hier draußen genug Rohmaterial, mit dem sich arbeiten lässt.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht genug, um bis hinunter zum Grund zu kommen. Der See ist zu tief.«
»Dann bauen wir die Straße eben an der Oberfläche«, sagte Dorian. »Eine Art schwimmende Brücke. Die Materialien dort oben zu halten, liegt durchaus im Rahmen meiner Kräfte. Sobald wir alle hinübergehen, wäre es jedoch hilfreich, wenn wir, sagen wir, ein wenig Unterstützung vom Wasser bekommen könnten.« Er sah Jasmine und mich bedeutungsvoll an.
»Das lässt sich hinkriegen«, erklärte ich. Dorian und Kellum würden die Erde und Steine über das Wasser hängen, und Jasmine und ich würde dafür sorgen, dass das Wasser die ›Brücke‹ am Untergehen hinderte. Zu viert war das Ganze machbar, und ich musste dann auch nicht damit rausrücken, wie groß meine Kräfte in Wirklichkeit waren.
Dorian beriet sich ein paar Minuten lang mit Kellum, und dann machten sie sich an die Arbeit. Obwohl Dorian so mächtig war, erlebte ich so gut wie nie, dass er seine Magie auch wirkte. Es war nur selten nötig, weil seine Untertanen ihr wahres Ausmaß ja schon kannten. Wenn er in die Schlacht zog, hielt er sich an sein Schwert, und seine Erdmagie verstärkte die Kupferklinge zwar, aber das war etwas ganz anderes als das, was ich jetzt miterlebte. An Dorians Tun war etwas Kunstvolles. So, wie meine Sinne zum Wasser und zur Luft sangen, konnte er sämtliche Elemente in der Erde anrufen und zu Gehorsam zwingen. Ich hatte einmal erlebt, wie er diese Kraft dazu einsetzte, Zerstörung auf seine Feinde herabregnen zu lassen, und es war erschreckend gewesen. Dieser Schöpfungsakt dagegen war faszinierend.
Gemeinsam beschworen die beiden Steine und Felsen, sich über das Wasser zu legen, und arrangierten die verschiedenen Größen so, dass sie sich wie beim Tetrisspielen ineinanderfügten. Sobald ein Steinabschnitt fertig war, rief Dorian die Erde herbei. Sie stieg in Brocken vom Boden auf, fast wie eine Gewitterwolke, breitete sich dann in ordentlichen Schichten über dem Steinfundament aus und schuf eine glatte Oberfläche. Eine halbe Stunde lang arbeiteten Dorian und Kellum daran, und obwohl Dorian dabei wie immer schmunzelte und witzige Bemerkungen machte, konnte ich sehen, wie sich in seinem Gesicht Falten bildeten und am Haaransatz Schweiß hervortrat. Das
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