Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
Gastfreundschaft legen. Den Soldaten in unserer Gruppe – die dennoch in ihrer Wachsamkeit nicht nachließen – fiel es am leichtesten, neue Freundschaften zu knüpfen. Ich glaube, wenn das eigene Leben daraus besteht, ständig an neue Einsatzorte versetzt zu werden und gegen Leute zu kämpfen, die man überhaupt nicht kennt, dann schließt man einfach überall Freundschaften, wo es geht.
Wenig überraschend stellte jede Partei eigene Leute für die Wachschichten ab. Meine stand erst für später in der Nacht an, und als ich mich beim Lagerfeuer auf meiner Decke ausstreckte, kam Alea, die Frau mit dem Falken, herüber und setzte sich zu mir. Der Vogel saß auf ihrer Schulter.
»Fleck wundert sich, dass du nicht bei ihm schläfst«, sagte sie.
Ich brauchte ein paar Sekunden, um aus dieser Bemerkung schlau zu werden. Als Erstes wurde mir klar, dass der Falke wahrscheinlich Fleck hieß. Also nahm ich an, sie wollte damit sagen, dass der Falke bei mir schlafen wollte – bis ich sah, dass sie zu Dorian hinüberschaute.
»Ach so«, sagte ich und starrte zur anderen Seite des Feuers hinüber. Dorian fing meinen Blick und lächelte. Ich sah rasch wieder zu Alea. »Nein.«
»Ist er denn nicht dein Mann?«, fragte sie neugierig. »Ich hatte unterwegs den Eindruck.«
Ich konnte mich nicht erinnern, dass Dorian und ich mehr getan hatten, als wie immer ein bisschen zu plaudern, aber vielleicht sahen andere ja etwas, das mir entging. »Er ist einmal mein Mann gewesen«, gab ich zu. »Aber jetzt nicht mehr.«
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Warum nicht? Er ist sehr attraktiv.«
»Das ist er«, sagte ich ein bisschen wehmütiger als beabsichtigt. »Und außerdem klug und stark und einfallsreich.« Ich dachte kurz nach. »Und freundlich.«
Der Vogel gab ein paar klickende Geräusche von sich. Alea neigte den Kopf zur Seite und nickte dann. »Fleck sagt, das klingt nach einem idealen Partner, und er kann nicht verstehen, was dein Problem ist.«
Ich lachte. »Anscheinend kennt Fleck sich aus in Liebesdingen.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Er sieht manchmal Dinge, die wir übersehen. Oft ist sein Blick auf die Welt viel einfacher als unserer. Darum hat er Schwierigkeiten, deine Bemerkungen zu verstehen.« Sie sagte leise etwas zu ihm, das wie Krächzen klang, und der Falke flog in die Nacht davon.
»Ich schätze, das liegt daran, dass es nicht so einfach ist.« Ich versuchte, nicht wieder zu Dorian zu schauen. »Wir hatten einige Meinungsverschiedenheiten.«
»Meinungsverschiedenheiten hat jeder. Nur Narren denken, dass es anders wäre. Und nur Narren lassen zu, dass ihr Stolz einer Versöhnung im Weg steht, zumal in diesen Zeiten.«
Mir entging der bittere Unterton nicht. »Hat euer Königreich sehr gelitten?«
»Ja. Anderenfalls hätten wir uns nie dazu bringen lassen, diesen Weg einzuschlagen.« Sie starrte in die Nacht hinaus, das Gesicht voller Zorn und Enttäuschung. »Ich bin im Krieg gewesen, weißt du. Und nichts, was ich dort erlebt habe, hat mich so sehr gegraut wie der Anblick von Kindern, die verhungern und erfrieren. Oder von Dörfern, in denen Schneeungeheuer gewütet haben.«
Mich überlief ein Schaudern. »So etwas haben wir auch gesehen.«
Sie seufzte. »Es gefällt mir überhaupt nicht, vor Varia das Knie zu beugen. Aber ich möchte, dass mein Volk und mein König weniger zu leiden haben. Tja. Und da sind wir nun. Wie ich schon sagte, nur Narren weigern sich, ihren Stolz beiseitezuschieben.«
Ich sagte nichts. Obwohl ich mit Orj und den anderen kaum ein Wort gewechselt hatte, war mir dieser stille Zorn nicht entgangen – Leute, die in die Enge gedrängt worden waren und denen nichts anderes mehr übrig blieb. Die gemeinsame Reise war gut für uns, weil wir auf diese Weise schneller in die Hauptstadt kamen. Aber ich fragte mich auch, ob daraus auch noch etwas anderes Gutes erwachsen konnte. Doch dafür würde ich behutsam vorgehen müssen.
»Habt ihr mal über andere Möglichkeiten nachgedacht?«, fragte ich. »Zum Beispiel, sich ihr nicht zu unterwerfen?«
Alea sah mich verärgert an. »Wie ich schon sagte: Das ist es nicht wert, mein Königreich dafür leiden zu lassen.«
»Nein – sich tapfer zu weigern und die Plage zu erdulden, meinte ich nicht. Habt ihr je an offenen Widerstand gedacht? An einen Aufstand? Einen Angriff?«
Sie antwortete nicht, und ich hatte keine Ahnung, was sie dachte. »Habt ihr das denn?«, fragte sie schließlich. »Es scheint unmöglich.«
Ich achtete sehr
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