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Dark Village - Niemand ist ohne Schuld

Dark Village - Niemand ist ohne Schuld

Titel: Dark Village - Niemand ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjetil Johnsen
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festgebissen.
    Das war die deutlichste Erinnerung, die er an die Szene im Parkhaus hatte. Wie er fast die Kontrolle verloren und beinahe noch einen Menschen umgebracht hätte, den dritten. Oder war es der vierte? Er schüttelte den Kopf. Er wollte nicht mehr grübeln. So ist es eben , dachte er.
    Er ging allein zur Kirche. Heute hatte er sich nicht mit Nora verabredet. Er vermisste sie sehr. Mit ihr fühlte er sich stiller, ruhiger, rücksichtsvoller. Ihre angenehme Art war irgendwie auf ihn übergesprungen, sorgte für Ausgeglichenheit. Mit ihr konnte er seine guten Seiten erkennen, alles Helle und Leichte. Ohne Nora war Nick das komplette Gegenteil. Er kippte ins Dunkle und Düstere, wurde rastlos und verschlossen und hatte so viele schreckliche Erinnerungen an Dinge, die besser nicht geschehen wären. Ohne Nora war Nick eine tickende Zeitbombe. Gefährlich. Für alle. Aber vielleicht am meisten für sich selbst.

7
    Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel, spitzte die Lippen und drehte den Kopf. Sie war weniger geschminkt als sonst. „Ich gehe dann.“
    Ihr Vater räusperte sich. „Wir kommen auch gleich.“
    „Ja“, sagte sie.
    „Ihr wollt doch sicher zusammensitzen, die Klasse“, sagte ihr Vater.
    „Ja.“ Nora nickte.
    „Wir wollen nicht stören“, flüsterte ihre Mutter.
    „Ihr stört nicht“, erwiderte Benedicte. „Egal wo.“
    „Ah“, machte ihre Mutter.
    Sie klang enttäuscht. Als hätte sie gehofft , im Hintergrund verschwinden zu können, nichts sagen oder tun zu müssen, ja, eigentlich nicht mal wirklich dabei zu sein – und jetzt war die Misere da: Benedicte hatte sie einfach hinein ins Warme geholt, dahin, wo die Gefühle stark und echt waren.
    Ihr Vater bemerkte es nicht. Er legte Benedicte eine Hand auf die Schulter. „Sei stark, meine Kleine.“
    Sie sah ihn an. Sei stark? Was sollte das heißen? Dass sie so tun sollte, als ob ihr nichts wirklich unter die Haut ging, als ob nichts ihr etwas anhaben könnte und nichts sie verletzte?
    Sie setzte die graue verspiegelte Sonnenbrille auf.
    „Ja, Papa.“ Sie wandte sich von ihm ab.
    Ihre Mutter machte keine Anstalten, sie zu umarmen. Sie blieb stocksteif stehen, die Hände vor der Brust verschränkt, zugedröhnt bis zum Gehtnichtmehr, alle Muskeln gespannt, damit sie bloß nicht zusammenbrach.
    „Tschüss“, sagte sie.
    „Ja.“ Benedicte öffnete die Haustür und ging.

8
    Es war noch eine Woche bis Oktober und nach wie vor ungewöhnlich warm, aber der Wind, der jetzt immer häufiger aufkam, war kalt. Der erste Vorbote des Herbstes.
    Der Friedhof war von hohen Bäumen umgeben. Hier und da wurde das matte Grün schon von Orange und Braun abgelöst und ein paar Bäume verloren bereits ihre Blätter. Während die Leute langsam den Schotterweg zur Kirche entlangschritten, tanzte das Laub auf dem Weg zur Erde im Wind.
    Und es war still. Niemand sprach ein Wort. Nur die Glocken läuteten und ließen die Luft erzittern, so schwer und einsam, dass es sich anfühlte wie eine Berührung im Gesicht.
    Nora schauderte. Ihr war, als ginge sie in ein Gewölbe hinein, ein tiefes, tiefes Grab, das sich in aller Stille hinter ihr schließen und nie wieder Luft oder Freude oder Leben einlassen würde.
    Es war kühl. Nora rieb sich die Oberarme. Sie betrat hinter ein paar anderen aus der Klasse den Mittelgang der Kirche. Es würde voll werden. Bestimmt würden einige im Gang stehen oder draußen auf dem Friedhof warten müssen.
    In den ersten zwei Reihen waren Plätze für die Familie reserviert, dahinter kamen die Schulfreunde, Nachbarn und Bekannte – und unendlich viele andere.
    Die meisten Menschen kannte Nora jedoch gar nicht oder nur vom Sehen. Da waren der Direktor des Gymnasiums, der Direktor des Hotels, der Redakteur der Lokalzeitung und verschiedene Ärzte aus dem Krankenhaus. Die Creme de la Creme von Dypdal hatte sich versammelt.
    Nora war genervt. Nein, schlimmer noch, in ihr braute sich eine rote, glühend heiße Wut zusammen, die ihre Lippen beben ließ und ihr Gesicht verzerrte. Am liebsten hätte sie gerufen: Was habt ihr hier zu suchen? Das geht euch nichts an! Ihr habt sie nicht gekannt! Sie war meine Freundin! Meine!
    Aber sie blieb stumm: Sie schluckte die Wörter herunter, schüttelte ihre Gefühle ab. Sie hatte sich unter Kontrolle und merkte, wie stolz sie das machte. Niemand sollte behaupten, dass sie versuchte, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, weg von der, die wirklich gelitten hatte. Deretwegen sie heute hier waren,

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