DARKNET
Major gesagt hatte, als ein Etwas, das von den Qualen der Folter kündete.
Oscar Stricklands medizinisches Interesse ging auf die vielen glücklichen Jahre zurück, die er in den Colorado Rockies mit der Jagd auf Weißwedelhirsche verbracht hatte. Das Aufbrechen und Zerlegen der Tiere dort unter den Espen weckte in seiner jugendlichen Seele die Faszination für alles Lebendige. Das wiederum veranlasste ihn, einem freiwilligen Rettungsdienst beizutreten und Sanitäter zu werden – was ihn mit den Wundern der menschlichen Anatomie konfrontierte, wenn er half, auf Bergstraßen Opfer aus zerknautschten Autowracks frei zu stemmen. Und hier entdeckte er auch sein Verhältnis zum Schmerz. Genauer gesagt, zur Verursachung von Schmerzen.
Es war eine Zufallsentdeckung – eine Unachtsamkeit beim Schieben der Rolltrage, die dadurch gegen den Rahmen der Krankenwagentür stieß. Doch von da an sorgte er beim Transport von Wirbelsäulenverletzten für die eine oder andere Extraerschütterung oder verabreichte
etwas
zu wenig Schmerzmittel. Zuerst war es der Thrill, ein Tabu zu brechen. Aber dann wurde es ein regelrechtes
Bedürfnis
, andere leiden zu sehen. Mehrere Jahre lang schlug er sich mit heimlicher Scham herum, weil er sich für einen schrecklichen Menschen hielt.
Als er zum Militär ging, tat er es in der Hoffnung, dort die Disziplin zu lernen, die ihm ermöglichen würde, diese krankhafte Obsession zu besiegen. Doch bei der Armee lernte er im Gegenteil, dass der Schmerz – und das Zufügen desselben – eine lange und wohlüberlieferte Geschichte hatte. Es war im Grunde die Geschichte der Welt. Kein großes Volk oder Imperium konnte ohne Schmerz längerfristig bestehen. Er war in gewisser Weise der Hüter des Guten. Die Angst vor Schmerz sorgte dafür, dass die Menschen anständig blieben.
Und als Stricklands Karriere ihn dann von der Armee in den Bereich der geheimen Regierungsoperationen und schließlich der privaten Sicherheitsoperationen führte, trug er den Kopf erhoben. Denn das war ein nobles Metier.
Und auch ein einträgliches – vor allem vor dem Hintergrund der derzeitigen Wirtschaftskrise. Stricklands Kontrakt warf nicht nur genug ab, um seine Frau und seine Kinder in Wyoming zu ernähren. Das Geld reichte auch noch für eine Frau und Kinder in Costa Rica.
Aber bei diesem Einsatz hier stand er nur im zweiten Glied. Es war leichte Arbeit. Er blickte von seinem Sudoku-Rätsel auf, als sein einsamer Patient jämmerlich aufstöhnte. Der Mann war auf eins von mehreren Dutzend alter Betten in der Krankenstation einer ehemaligen katholischen Schule geschnallt. Strickland musterte eine kreuzförmige saubere Stelle ganz oben an der ansonsten dreckigen Wand. Die Diözese hatte offenbar Probleme wegen irgendwelcher Gerichtsprozesse und daher die Schule schließen müssen. Er hatte keine Ahnung, wer der verstümmelte junge Mann war – er wusste nur, dass es sich um einen feindlichen Kombattanten handelte, der am Leben erhalten werden musste. So wie sie ihn zugerichtet hatten, konnte Strickland sich nicht vorstellen, wie sie noch irgendetwas aus ihm herauskriegen wollten.
Unprofessionell.
Trotzdem, das Stöhnen war eine nette Untermalung. Er richtete seine einsame Lampe dichter über das Rätsel und knobelte weiter.
Plötzlich hörte er die unverkennbaren Schritte eines Security-Teams auf den knarrenden Dielen. Er ließ das Rätsel in der leeren Schreibtischschublade verschwinden, setzte sich kerzengerade hin und tat so, als beobachtete er seinen Patienten, der in dem dunklen Krankensaal vor sich hin litt.
Doch was da um die Ecke kam, überraschte ihn. Es waren nicht die Männer von Korr Military Solutions, die ihn hierhergebracht hatten, und auch keine hiesigen Security-Leute – es waren vier Männer in exotischer Kampfmontur, wie aus einer Science Fiction Convention entsprungen. Ihre Helmvisiere schillerten wie Seifenblasen, und sie trugen seltsame, nach Hightech aussehende Plastik-Metall-Gewehre mit aufgesetztem Schalldämpfer. Solche Waffen hatte Strickland noch nie gesehen – und er hatte schon so ziemlich alles gesehen. Wahrscheinlich irgendwelche Elite-Spezialkräfte. Die Privatfirmen hatten immer die beste Ausrüstung …
Strickland stand auf. «Was kann ich für die Herren tun?»
Jetzt erst bemerkte er, dass ihre Gewehrläufe qualmten. Korditgeruch wehte ihn an.
Einer der Männer hob die handschuhgepanzerte Hand und bedeutete zwei anderen, um den Schreibtisch herumzugehen – sodass
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