Darkover 03 - Herrin der Falken
sie sagte sich, es sei ein geringer Preis, den sie für jenen rächenden Tritt zu zahlen hatte.
Er hätte mich getötet, er hätte mich vergewaltigt – ich brauche seinetwegen kein Schuldgefühl zu haben!
Sie verschloß ihre Jacke sorgfältig wegen der Kälte. Dann bückte sie sich und hob Rorys Stiefel auf. Schon wollte sie Stiefel und Hose in den Schnee schleudern, als ihr ein besserer Einfall kam. Sie riß die Tür des kleinen Abtritts auf, warf die Stiefel mit einer wilden Bewegung hinein und stopfte die Hose hinterher. Nun muß er sie erst suchen und dann säubern, bevor er mir folgen kann, dachte sie, schwang sich auf ihr Pferd, ergriff die hastig zusammengebündelten Vorräte und grub ihre Fersen mit einem lauten Ruf dem Pferd in die Weichen. Das Pferd lief in den Wald. Romilly nahm den steilen Pfad bergab. In ihrer Hast fortzukommen, gab sie dem Pferd den Kopf frei. Sie mußte sich an seinem Hals festhalten, so steil war der Weg, aber es gab kein Pferd auf der Welt, auf dessen Rücken sie sich nicht halten konnte, wenn sie mußte. Hinabfallen würde sie bestimmt nicht. Sie erinnerte sich an Dame Mharis Worte: Du hättest am Fuß des Berges die linke Abzweigung nehmen müssen. Ihr Herz klopfte so heftig, daß sie das scharfe Klappern der Pferdehufe kaum hörte.
Sie war frei, und zumindest für eine Weile war Rory nicht imstande, sie zu verfolgen. Es kam nicht darauf an, daß sie in dunkler Nacht im Regen und mit dürftigem Lebensmittelvorrat und ohne anderes Geld als die paar Münzen zwischen ihren Brüsten unterwegs war. Auf jeden Fall war sie Rory und der alten Frau entronnen.
Ich bin frei. Jetzt muß ich mich entscheiden, was ich mit meiner Freiheit anfange. Ganz kurz erwog sie, nach Falkenhof zurückzukehren. Doch das würde ihr Vater als Zeichen absoluter Unterwerfung auffassen. Bei Dom Garris mochte sie ein bequemeres Sklavenleben führen als bei Rory in den Wäldern. Aber sie hatte sich nicht unter Aufbietung aller Kräfte von Rory befreit, nur um von neuem eingekerkert zu werden. Nein, sie wollte den Turm aufsuchen und ihr Laran ausbilden lassen. Sie sagte sich, daß alle alten Geschichten von Heldentum und abenteuerlichen Fahrten immer damit beginnen, daß der Held viele Prüfungen zu bestehen hat. Jetzt bin ich der Held – warum ist der Held immer ein Mann? – und auf meiner eigenen Fahrt, und die erste Prüfung habe ich bestanden. Und sie erschauerte bei dem Gedanken, daß dies nicht der Weg in die Freiheit sein mochte, sondern nur die erste von vielen schweren Prüfungen.
2.
Romilly ritt erst langsamer, als der Mond unterging. Im Dunkeln ließ sie dem Pferd seinen Willen, und schließlich lockerte sie die Zügel und ritt im Schritt weiter. Sie war sich nicht ganz sicher, wo sie sich befand. Die linke Abzweigung am Fuß des Berges, die nach Nevarsin führte, hatte sie nicht eingeschlagen, weil es für Rory zu leicht gewesen wäre, sie dort aufzuspüren. Und jetzt erkannte sie, daß sie sich verirrt hatte. Sie konnte nicht einmal feststellen, in welche Richtung sie ritt, bis die Sonne aufging und es ihr ermöglichte, sich zu orientieren. Unter einer überhängenden Baumgruppe sattelte sie das Pferd ab und band es an einem der Stämme fest. Dann wickelte sie sich in Rorys Mantel und die rauhe Decke, die sie bei ihrer Flucht mitgenommen hatte, und wühlte sich in eine kleine Höhlung am Fuß des Baums. Obwohl ihre Glieder klamm und steif waren, schlief sie ein. Aber sie schreckte immer wieder aus Alpträumen hoch, in denen ein gesichtsloser Mann, der sowohl Rory als auch Dom Garris war – und dazu Ähnlichkeit mit ihrem Vater hatte –, sich ihr mit unerbittlicher Langsamkeit näherte, während sie weder Hand noch Fuß zu regen vermochte. Eins war klar, sollte sie Rory jemals wieder unter die Augen kommen, tat sie gut daran, ihren Dolch bereitzuhalten. Nur hatte irgendwer ihren Dolch in den Abtritt geworfen, und sie konnte nicht danach suchen, weil ihre ganze Kleidung aus einem der blutbefleckten Lappen bestand, und irgendwie fand der Mittsommer-Tanz auf der Wiese statt, wo ihr Vater seinen Pferdemarkt abhielt… Romilly erwachte davon, daß das Pferd unruhig schnaubte und sie mit der Nase stupste. Die Sonne war aufgegangen, und das Eis schmolz von den Bäumen. Bei ihrer halsbrecherischen Flucht im Dunkel der vergangenen Nacht hatte sie noch Glück gehabt. Wie leicht hätte ihr Pferd sich auf dem eisigen Weg ein Bein brechen können! Jetzt machte sie nüchtern Inventur.
Unter den
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