Darkover 03 - Herrin der Falken
sie war verängstigt und hungrig, und von dem Hügel aus sah sie nichts anderes als Bäume. Weit weg im Nordwesten, gerade noch zu erkennen, erhob sich ein Berg, und die hellen Flecken ringsum mußten schneebedeckte Gipfel sein. Das waren die Hellers, gegen die das Vorgebirge hier nur aus Erdklümpchen bestand, und jenseits davon lag der Wall um die Welt, der, soviel sie aus Erzählungen von Reisenden wußte, unpassierbar war. Zumindest war niemand, den sie kannte, je auf der anderen Seite gewesen, und auf jeder Landkarte, die sie gesehen hatte, markierte er die Grenze des bekannten Landes. Einmal hatte sie ihre Erzieherin gefragt, was hinter dem Wall liege.
»Die Eiswüste«, hatte die Erzieherin geantwortet. »Kein Mensch kennt sie.« Damals war es für Romilly ein fesselnder Gedanke gewesen. Jetzt hatte sie reichlich genug davon, in unbekanntem Land umherzuirren, und hätte irgendwelche menschliche Gesellschaft begrüßt.
Allerdings erfüllte sie das, was sie bereits erlebt hatte, nicht mit viel Hoffnung auf die Menschen, die sie unterwegs treffen mochte.
Nun, sie hatte eben Pech gehabt. Seufzend schnallte sie ihren Gürtel enger. Es würde ihr nicht schaden, noch einen weiteren Tag zu fasten, aber heute abend mußte sie etwas zu essen auftreiben. Noch einmal hielt sie Umschau und merkte sich die Lage des Berges genau. Ihr schien, nahe dem Gipfel sei etwas wie ein weißes Gebäude, ein von Menschenhand hergestelltes Gebilde. Sie hätte gern gewußt, ob es eine Burg, ein Großes Haus oder vielleicht einer der Türme war. Nordwesten – sie mußte auf den Winkel der Sonne und die verstrichene Zeit sorgfältig achten, damit sie nicht im Kreis herumwanderte. Aber wenn sie dem Weg folgte, war das unwahrscheinlich. Sie sollte zu ihrem Pferd zurückkehren. Noch einmal blickte sie zum Himmel. Merkwürdig. Der Falke kreiste immer noch. Ob es derselbe wie eben war? Nein. Falken kamen in diesen Bergen häufig vor, und wohin man auch das Auge richtete, es war bestimmt irgendein Raubvogel in Sicht. Wieder war ihr, als schwebe sie mit dem Falken oben, sähe den weißen Turm und ein schwaches blaues Blitzen in seinem Inneren. Sie fühlte sich elend und benommen, sie wußte nicht, ob der Falke das sah oder sie selbst. Romilly schüttelte sich und unterbrach den Rapport. Es wäre nur zu leicht, sich in dieser Kommunion mit Himmel und Wind und Wolken zu verlieren…
Romilly stieg zu ihrem Pferd hinunter. Es machte ihr Mühe, es zu satteln. Wenigstens war das Tier satt. Sie sagte laut: »Beinahe wünschte ich, ich könnte Gras essen wie du, alter Bursche«, und erschrak über den Klang ihrer eigenen Stimme. Sie erhielt Antwort durch einen anderen Laut, den hohen, schrillen Schrei des Beute schlagenden Falken – ja, der Falke hatte irgendeine Beute gefunden, denn sie fühlte warmes Blut fließen. Dadurch erwachte der wütende Hunger von neuem, und das Wasser lief ihr im Mund zusammen. Das Pferd scheute nervös. Sie zog die Zügel an und sprach ihm leise zu. Und dann fegten dunkle Schwingen durch ihr Gesichtsfeld. Ohne nachzudenken, streckte sie den Arm aus, spürte das grausame Zugreifen der Krallen und fiel blindlings in den vertrauten Rapport.
»Preciosa!« Schluchzend stieß Romilly den Namen hervor. Wie, warum der Falke ihr auf ihrer Wanderung gefolgt war, würde sie nie erfahren. Der schrille Schrei und die schlagenden Flügel ließen ihre Tränen versiegen. Jetzt merkte sie, daß ein ziemlich großer Vogel, noch warm, in den Krallen des Falken hing. Mit einer Hand faßte Romilly nach Preciosa:. Ständern und hob die Krallen von ihrem Handgelenk. Es blutete ein wenig, wo die Krallen eingeschnitten hatten. Aber das war ihre eigene Schuld, weil sie keinen richtigen Handschuh trug. Mit klopfendem Herzen setzte sie den Falken auf den Sattel, zog ihren Dolch und gab Preciosa Kopf und Flügel. Während der Falke kröpfte – Preis dem Lastenträger, das Pferd war so gescheit, daß es stillstand, als sein Sattel zu einer improvisierten Sitzstange gemacht wurde – nahm sich Romilly den Rest des Vogels, schlug Feuer und briet ihn.
Sie ist zu mir gekommen, als ich Hunger hatte. Sie wußte es. Sie hat mir Essen gebracht, hat ihre eigene Freiheit aufgegeben. Die Fesseln hingen noch an Preciosas Beinen. Romilly schnitt sie mit ihrem Dolch los.
Wenn sie jetzt bei mir bleibt, tut sie es aus freien Stücken. Niemals wieder werde ich sie mit irgendeinem Zeichen des Besitzes binden. Sie gehört sich selbst. Aus ihren Augen
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