Darkover 24 - Die Schattenmatrix
der die Gabe des Gesichts hat, könnte es so aussehen, als würden wir ständig kommen und verschwinden.
Amiryas Miene wirkte sorgenvoll und unsicher. Sie biss sich auf die Unterlippe und ballte die zierlichen Hände zu Fäusten. »Ich werde euch zwingen, es mir zu sagen! Ich kann es nicht riskieren, meinen Bruder zu enttäuschen. Dann wenden wir eben den Wahrheitszauber an, wenn es sein muss.«
»Ich glaube nicht, dass das klug von dir wäre«, entgegnete Marguerida. »Es könnte für jeden, der es versucht, tödlich enden. Aber das ist deine Entscheidung, Amirya, nicht meine. Du hast uns hierher geholt, also musst du auch mit den Folgen fertig werden.« »Was soll ich denn bloß tun?« Die junge Frau war offensichtlich überfordert. »So war das alles nicht geplant. Ihr seid nicht, was ihr zu sein scheint, und wenn ich das Padraic erzähle, dann macht er mir die Hölle heiß. Wenn er nicht bekommt, was er will … ich darf gar nicht daran denken!«
»Vielleicht solltest du dir dann überlegen, ob es eine so gute Idee ist, deinem Bruder zu geben, was er glaubt, unbedingt haben zu müssen. Einen geheimen Turm bauen, Leroni zum Dienst zwingen nichts von alldem kommt mir sehr klug vor.
Dieser Ort riecht nach Verderben, und ich glaube, du weißt es auch, Amirya. Ich glaube, du weißt, dass du nicht das Richtige tust, und es macht dir zu schaffen.«
»Wenn ich doch nur … wenn ich nur Gewissheit hätte«, flüsterte sie, und ihr schlanker Körper bebte.
»Es gibt keine Gewissheit, höchstens die, dass die Sonne am Morgen aufgeht und dass es im Winter schneit. Alles andere ist eine Frage von Entscheidungen und deren Folgen. Ich weiß, dass unsere Geschicke vorläufig miteinander verknüpft sind und dass du deines ändern kannst, wenn du es wirklich willst. Aber deinen Bruder dabei weiter zufrieden zu stellen, wird vielleicht nicht möglich sein.« Tränen glitzerten in Amiryas dunklen Augen und liefen ihr schließlich über die Wangen. »Ich habe solche Angst. Ich dachte, ich hätte mich bisher schon gefürchtet, aber …«
»Ich weiß. Wir wissen es beide. Aber wenn wir nicht bald etwas zu essen bekommen, fallen wir auf der Stelle tot um, und das wird deinen Bruder mit Sicherheit verstimmen.«
Mikhail wusste, dass Marguerida im Augenblick nicht die Befehlsstimme benutzte, das verletzliche Mädchen aber dennoch irgendwie beeinflusste. Er bemerkte, dass ihre linke Hand eine kleine Bewegung vollführte, und hätte laut gelacht, wenn er sich getraut hätte. Sie wandte eine Art Heilverfahren an und besänftigte die Ängste der unglücklichen Kleinen. Und er besaß genügend Menschenkenntnis, um zu wissen, dass sich Amirya umgehend einreden würde, sie habe überreagiert oder sich nur eingebildet, dass sich die beiden vor ihren Augen verschoben.
Die Anspannung in Amiryas Körper löste sich langsam. »Natürlich. Ich werde euch von einem Diener gleich etwas zu essen bringen lassen. Das Badezimmer ist die zweite Tür rechts - öffnet bitte keine von den anderen Türen! Ich will nicht, dass die anderen bei ihrer Ruhe gestört werden. Sie
brauchen ihre Kraft. Und ich kümmere mich darum, dass ihr saubere Kleider bekommt.«
Amirya drehte sich um und floh den Gang entlang, so schnell sie konnte. Ich lasse sie vorerst in ihrem Zimmer - ich wage es nicht, sie zu benutzen, noch nicht. Was soll ich bloß tun?
Marguerida betrat die enge, düstere Kammer, legte ihren Umhang ab und ließ sich auf das Bett fallen. Mikhail setzte sich neben sie. »Wenigstens regnet es hier nicht«, murmelte sie niedergeschlagen. Die Stille schien zu wachsen, und Mikhail entspannte sich zusehends. Vorläufig konnte er nichts tun, und Marguerida hatte Recht: Es war gut, dass sie dem schlechten Wetter entronnen waren. Er spürte, wie seine Sinne zu kribbeln begannen, als würden sie aus seinem Körper herauswachsen wie feine Lichtfäden. Es fing langsam an, und zunächst bemerkte er es kaum, bis er der Erscheinung einer anderen Person begegnete. Es war nicht Marguerida, sondern ein fremder Mann, und er war obendrein krank. Wo war dieser Mann? Nach einer Weile wusste Mikhail, dass die Person, die er wahrnahm, nur zwei Türen entfernt war. Er empfing nichts außer der Wahrnehmung einer schrecklichen Müdigkeit und Krankheit - keine Persönlichkeit. Er konnte nicht einmal sagen, ob der Mann jung oder alt war.
Er ließ es zu, dass sein Bewusstsein sich ausdehnte und frei umherschweifte. Doch was er fand, gefiel ihm nicht. Überall im Gebäude waren erschöpfte
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