Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
Interview mit Ed
von Ivar Leon Menger
Kapitel 1 - Band 1
»Zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das ist das ganze Geheimnis. Mein Name ist Edward Leroy Shipman, ich bin 52 Jahre alt, ich wohne seit fast zwei Jahren hier in Porterville, und ich habe gestern Abend einem Menschen das Leben gerettet.«
»Danke, Ed. Aber wir führen ein Interview, sie müssen den Artikel nicht selbst formulieren. Beantworten Sie einfach meine Fragen. Die richtigen Worte finde ich dann später in meinem Büro.«
»Okay, gut. Und ich … komme wirklich auf die Titelseite?«
»Selbstverständlich, Ed. Sie haben ein Menschenleben gerettet. Damit kommt jeder auf die Titelseite.«
»Das hatte mir die Reporterin von der ›Madison Post‹ damals auch versprochen.«
»Von der ›Madison Post‹?«
»Ja. Und dann verunglückte am gleichen Tag so ein Hollywood-Schauspieler mit seinem Auto und …«
»Ed, erzählen Sie mir ein bisschen von sich. Woher kommen Sie, was machen Sie beruflich? Wer ist dieser Edward Shipman?«
»Gerne, Miss Waters.«
»Bitte nennen Sie mich Peggy.«
»Okay, Peggy. Sie verstehen meine Geschichte besser, wenn ich ganz am Anfang anfange, bei meiner Geburt. Einverstanden?«
»Ihre Geschichte?«
»Ja. Sie wollen doch sicherlich wissen, wie alles begann. Warum ich bin, was ich bin.«
»Ich verstehe nicht …«
»Sie werden gleich verstehen, Peggy. Meine Geschichte beginnt im Sommer 1956, in Detroit, als sich meine Mutter überlegt hatte, mich auf einer Müllkippe zur Welt zu bringen.«
»Auf einer … Müllkippe?«
»Das war zu dieser Zeit nichts Ungewöhnliches in Downtown. Es wurden viele tote Babys an grausamen Orten gefunden. Es heißt, mein lieber Daddy hatte zwei Monate vor meiner Geburt seinen Job bei ›General Motors‹ verloren und war von heute auf morgen verschwunden. Was sollte meine arme Mutter denn tun? Mit einem Kind bekommt man keinen Job in Motorcity. Also muss man’s loswerden.«
»Das ist ja schrecklich!«
»Nein, Peggy. Das war Schicksal. Das war meine Bestimmung. Glauben Sie an Schicksal?«
»Eigentlich nicht …«
»Vielleicht werden Sie nach unserem Interview anders darüber denken. Es hatte einen tieferen Grund, warum ich auf dieser Müllkippe geboren werden sollte. Nachdem mich meine Mutter allein gelassen hatte und ich, nur mit einer Wolldecke bedeckt, zwischen leeren Konservendosen und verschimmelten Lebensmittelresten auf einer hölzernen Eistruhe auf den Tod wartete, begann sich in mir etwas zu verändern. Mein kleiner Körper verkrampfte sich zu einem schrumpeligen Fleischklops, doch ich wollte nicht sterben. Meine Lungen füllten sich mit Luft, und ich schrie. Ich schrie, so laut ich nur konnte.«
»Und was ist dann passiert? Wie sind Sie gefunden worden?«
»Ein Mechaniker von Ford hatte mein Schreien gehört und kam sofort mit einem Kollegen angerannt. Er wickelte mich in seine warme Arbeitsjacke und hielt mich fest in seinen Armen. Und dann … dann geschah das Unglaubliche.«
»Das … Unglaubliche?«
»Ich hatte aufgehört zu schreien … doch die Schreie haben nicht aufgehört.«
»Wie meinen Sie das?«
»Der Mechaniker, der mich auf dem Arm hielt, zuckte zusammen. In seinen Armen lag ein kleines Baby, das vor lauter Erschöpfung eingeschlafen war. Doch er konnte immer noch die entsetzlichen Schreie hören. Dumpfe Schreie. Und ein Klopfen.«
»Was für ein Klopfen? Wo kam das Klopfen her?«
»Aus der Eistruhe, auf der ich gelegen hatte. Eilig öffneten die Männer die verrottete Kiste, und darin entdeckten sie einen Jungen, den die Polizei schon seit Tagen vermisst hatte. Er hatte sich beim Spielen mit seinen Freunden darin versteckt und ist nicht mehr herausgekommen. Sein Name war Matt Broyers, und er war der erste Mensch in meinem Leben, den ich gerettet habe.«
»Durch Ihr Schreien. Und an das alles können Sie sich noch ganz genau erinnern?«
»Nein, natürlich nicht. Ich war doch noch ein Baby. Das hat mir alles Misses Wilcox erzählt, unsere Heimleiterin. Sie hat immer gesagt: ›Jede Stadt braucht ihre Helden.‹ Und mit mir wäre ein neuer Held in Detroit geboren worden.«
»Sie sind also in einem Heim aufgewachsen?«
»Im ›St. James‹-Waisenhaus, Detroit, Michigan, ja. Misses Wilcox war wie eine Mutter für mich. Sie hat mir alles beigebracht. Alles, was man wissen muss, wenn man ein Held ist.«
»Sie sind also ein Held?«
»Nein, nicht so, wie Sie sich das jetzt vorstellen. Ich bin kein Superheld, verstehen Sie, nicht so wie Superman oder
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