Darkyn 07 – Am Ende der Dunkelheit
mit ihr zu haben.
Er war jedoch keinesfalls entmutigt, sondern fasste sich an den Gürtel und begann, seine Hüften im Rhythmus des Hits der Village People, der aus den Lautsprechern wummerte, vor- und zurückzustoßen.
Chris’ eingerosteter Humor erwachte schlagartig zum Leben, als sie ihn im Spiegel rotieren sah – ein Luftsex-Angriff vom Macho, Macho man –, während ihre berufliche Erfahrung ein fachmännischeres Bild von ihm zeichnete: weiß, Mitte dreißig, ein Meter fünfundachtzig groß, über hundert Kilo, grau-braunes Haar, Bürstenhaarschnitt, eng stehende blaue Augen, kurz geschnittener rotbrauner Schnauzer, eine sechs Millimeter große Narbe schräg unter dem linken Kieferknochen. Ockerfarbener Anzug von der Stange, hellgrünes Hemd, Armbanduhr aus rostfreiem Stahl, hellbrauner Gürtel.
Dank ihres hervorragenden visuellen Gedächtnisses würde Chris ihn bei einer Gegenüberstellung in einem Gefängnis in sechs Monaten noch mühelos wiedererkennen.
Ich hoffe, dass ich das nicht muss. Sie nahm ihren Drink und trank einen Schluck.
»Ich bin Dave.« Ohne auf eine Einladung zu warten, zog er den nächsten freien Stuhl dicht an ihren heran und setzte sich. Sein Hintern verfehlte beinahe das dunkelbraune Kissen, sodass er zur Seite rutschte. Er schaffte es gerade noch, sich abzufangen, um nicht auf dem Boden zu landen. »Blöde wacklige Dinger.«
Chris’ Schultern und Nacken spannten sich an. Wieder mal fragte sie sich, ob es klug gewesen war, so spät am Abend noch in eine Bar zu gehen. Seit sie angekommen war, hatten schon sechs Männer sie angequatscht, und sie bezweifelte, dass Dave der letzte sein würde. Das, verbunden mit der Aufmerksamkeit, die sie bei der Kunstauktion bekommen hatte, sorgte dafür, dass sie sich fühlte wie ein an einem Seil baumelnder Fleischköder.
Und das war sie ja auch.
Vielleicht hätte es ihre Stimmung gehoben, wenn sie joggen gegangen wäre, bevor sie hierher aufgebrochen war, aber sie lief nicht gerne in einer fremden Stadt, schon gar nicht nachts. Sie hatte Zugang zu dem supermodernen Fitnessraum, direkt hinter dem Büro; Ray Hutchins hatte das am Tag von Chris’ Ankunft erwähnt. Eine oder zwei Stunden auf dem Laufband hätten sicher geholfen, etwas Stress abzubauen. Aber sie hätten Chris auch zu viel Zeit gegeben, nachzudenken und sich in Selbstvorwürfen zu ergehen.
Sie hatte sich in Chicago schon genug selbst gegeißelt.
Sie konnte es nicht gebrauchen, dass Dave sie belästigte, während sie den Ort auskundschaftete. Das war ihre Aufgabe; sie sollte die Bar erkunden und entscheiden, wie man die Überwachung vor Ort fortführen konnte. Aber der Laden, der laut Ray typischer Treff- und Übergabepunkt für die weniger angesehenen Dealer der Stadt war, schien absolut der falsche Ort zu sein. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, wie der Magier hier die Kunst verkaufen sollte, die er stahl. Interpol vermutete, dass ihre Zielperson um die siebzig sein musste – viel zu alt, um sich unter das Publikum um die vierzig und darunter zu mischen.
Chris wusste, dass er diesen Ort mit seiner billigen Atmosphäre hassen würde. Du würdest niemals im Leben in so eine miese Absteige gehen, oder, Magischer Mann?
Obwohl sie fast fühlen konnte, wie Dave sie mit Blicken auszog, wie er ihre weiblichen Vorzüge anstarrte, verspürte sie keine Lust zu gehen. Sie konnte mit den Daves dieser Welt besser umgehen als mit der Leere ihres geschmackvollen und teuer möblierten Apartments, das man ihr für die Zeit der Operation zur Verfügung gestellt hatte. Sie wusste, wenn sie dorthin zurückkehrte, würde sie den Rest der Nacht damit zubringen, an einem der Rundbogenfenster zu sitzen und hinaus auf die leeren Straßen von Atlanta zu starren, ganz allein mit ihren Gedanken à la »Hätte ich doch nur …«.
Hätte ich ihn doch nur nicht allein gelassen.
Wäre ich doch nur in Chicago geblieben.
Hätte ich doch kapiert, wie verzweifelt er war.
Hätte er mir doch nur diese Notiz nicht geschrieben.
»Du bist nicht aus der Gegend, oder?« Nicht länger willens, ignoriert zu werden, fuhr Dave ihr mit der Hand über die Schulter und umhüllte sie mit seinem penetranten Aftershave.
»Nein.« Sie sah ihn an und schätzte ihn wegen seines Geruchs nach Old Spice und dieser Art der Anmache aus dem Jura-Zeitalter gleich noch mal zehn Jahre älter. Die geplatzten Blutgefäße um seine Nasenlöcher und seine Augen verrieten eine lang andauernde Liebe zu Rum-Cola. Seine Haut war rot
Weitere Kostenlose Bücher