Darkyn: Blindes Verlangen (German Edition)
auf, bevor er zu lesen begann. »… den Engel des Abgrunds; sein Name heißt auf Hebräisch Abaddon …«
Sie versuchten, die Heilige Schrift als eine weitere, subtilere Form der Folter zu benutzen, aber Gabriel, der von seinem Vater nach Gottes himmlischem Boten benannt worden war, hatte schon vor langer Zeit Frieden mit seinem Schicksal geschlossen. Er war kein Engel, aber er glaubte nicht länger daran, dass die Kyn verflucht waren. Er hatte zu viele Gräueltaten in seinem menschlichen Leben und in seinem Leben als Kyn gesehen; Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die obszöner und brutaler gewesen waren als alle seine eigenen bedauernswerten Sünden. Der Gott, dem er während seines menschlichen Lebens gedient hatte, würde nicht eine Handvoll in die Irre geleiteter Kreuzritter-Priester für die göttliche Rache aussondern und erlauben, dass die Schlächter von Millionen Menschen alt wurden und in Betten aus Gold starben.
Metall schabte erneut am Mauerwerk, doch diesmal war das Geräusch leiser, fließender.
Benait beendete seine Lesung aus der Offenbarung, schloss die Bibel und küsste den Deckel, bevor er sie beiseitelegte.
»Du hast deine Sünden nie gebeichtet, Vampir, und es kann keine Absolution für dich geben.« Er holte eine kleine Glasphiole mit einer rötlichen Flüssigkeit aus seinem Ärmel und öffnete sie. »Aber dein engelsgleiches Gesicht können wir noch für eine Sache gebrauchen. Vielleicht wird D’Orio sich deinen Kopf an die Wand seines Arbeitszimmers hängen, wenn das hier vorbei ist.«
Gabriels Blick wurde auf eine alte, fleckige Hand gelenkt, die in der Öffnung seiner Kammer erschien und Mörtel über der Schwelle verteilte. Die Kelle verschwand wieder, und dieselbe Hand legte vorsichtig Ziegel in den feuchten Mörtel. Ihm wurde klar, was auf der anderen Seite der Wand vor sich ging, und das Entsetzen, das ihn erfasste, löschte alles andere aus, was man ihm bis zu diesem Moment schon angetan hatte. Sie versiegelten den Raum. Sie schlossen ihn ein.
Er drehte das Gesicht weg und riss an seinen Ketten.
»Du wolltest das Licht nicht sehen, Vampir.« Benait krallte seine Hand in Gabriels verfilztes Haar und zwang ihn, sich anzusehen, wie die Mauer aus Ziegeln und Mörtel auf der Schwelle höher und höher wurde, bevor er ihm die Phiole vor das Gesicht hielt. »Deshalb wird dich von nun an nichts als Dunkelheit umgeben.«
2
Eintausend Kilometer entfernt von Frankreich kämpfte eine weitere Gefangene in den schweigenden Mauern einer einsam gelegenen, streng bewachten Festung gegen ihre Gefangenschaft. Diese Gefangene akzeptierte ihr Schicksal nicht; und sie schwieg auch nicht. Genauso wie jeden Tag, seit sie nach Dundellan Castle gebracht worden war, kämpfte und schrie Dr. Alexandra Keller.
»Ich will da nicht reingehen. Ich habe dir doch schon gesagt, dass mir das nicht gehört. Und jetzt lass mich endlich los , du dämlicher Idiot.«
Richard Tremayne, Highlord der Darkyn, legte die Berichte nicht beiseite, die er gerade gelesen hatte, beendete jedoch die Lektüre über die Details der neuesten Aktivitäten der Bruderschaft in Südfrankreich. Als Alexandras Proteste näher kamen und lauter wurden, dachte er kurz über die Vorteile von Schallschutz und einseitigen Verriegelungen nach. Keins von beidem würde die Probleme mit seiner neuesten, lästigen Akquisition lösen, aber vielleicht würde dadurch zumindest ein Anflug von Frieden in seinen frühen Abend zurückkehren.
Oder die Illusion davon , dachte Richard, als ein Klopfen seine Lieblingskatze von seinem Schoß aufscheuchte. »Herein.«
Ein Diener erschien.
»Dr. Alexandra Keller, Seigneur«, verkündete der Diener, während Richards Seneschall und ein Wachmann eine kleine Gestalt, die sich heftig wehrte, in die Bibliothek führten.
»Ich war nur draußen ein bisschen spazieren«, protestierte sie, als die beiden sie in den Lichtkegel vor Richards Schreibtisch zerrten. »Was, darf ich nicht mal ein bisschen frische Luft schnappen?« Sie stieß die Luft aus und blies sich einige ihrer kastanienbraunen Locken aus dem Gesicht.
Schwarze Erde lag wie Puder auf ihrer Nase, ihrer Wange und ihrem Kinn. »Ich bin hier doch angeblich Gast, oder?«
Die Katze näherte sich vorsichtig der Amerikanerin und roch zögernd an dem nackten Zeh ihres dreckigen rechten Fußes. Ein offener, zu großer Turnschuh bedeckte ihren linken.
Wenige Dinge verärgerten den Highlord der Darkyn mehr, als wenn etwas seinen Tagesablauf störte, aber
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