Darkyn: Dunkle Erinnerung (German Edition)
ihn jeden Tag nervöser.«
»Tatsächlich?« Lucan ließ in seiner Stimme etwas von dem Ärger mitschwingen, den er empfand. »Was für ein Glück, dass ich dich als Seneschall habe, Rafael. Andernfalls würde ich keinen meiner Diener und kein einziges verdammtes Wort verstehen, das aus meinem Mund kommt.«
Gelangweilt wandte er sich wieder der Fensterfront zu und sah in die Nacht hinaus. Rafael beendete schweigend die Durchsicht der nie endenden Flut an Post.
»Hier ist eine Liste mit den Bands aus der Gegend, die freitag- und samstagabends spielen können, und die Papiere für die neue Baufirma, die Ihr unterzeichnen müsst, Mylord, an den Stellen, die ich mit einem X versehen habe.« Der Seneschall übergab ihm einen Ordner mit den Unterlagen. »Der Bauleiter bittet um einen Termin mit Euch.«
Lucan strich sich über das Kinn. »Sollten wir das riskieren? Schließlich könnte ein unbedachtes Wort von mir ihn glauben lassen, ich hätte Schreckliches mit seiner Leber vor.«
Die breiten Schultern zuckten. »Vielleicht arbeitet er dann schneller.«
»Werde jetzt ja nicht plötzlich humorvoll, Rafael. Das könnte ich nicht verkraften.« Er holte einen Füllfederhalter aus Gold und Platin heraus, den ihm der dankbare Suzerän von Monte Carlo geschenkt hatte, und schraubte die Kappe ab. Es dauerte einen Moment, bis er wieder wusste, mit welchem Namen er unterzeichnen sollte – er hatte über die Jahrhunderte so viele benutzt, dass er das ständig vergaß –, und dann setzte er seine Unterschrift auf jedes Blatt. »Da.« Er warf den Vertrag seinem Seneschall hin. »Um was für Absurditäten muss ich mich sonst noch kümmern?«
Rafael nickte in Richtung Fenster.« Eine Frau wurde heute Morgen tot in der Nähe des Strandes gefunden. Ertrunken, sagt eine von den Kellnerinnen.«
»Ich habe sie nicht umgebracht.« Lucan sah seine rechte Hand mit neuem Interesse an. »Warst du es?«
»Nein, Mylord. Aber die Frau« – Rafaels Blick glitt zu dem riesigen Bett im angrenzenden Schlafbereich – »war eine der Menschenfrauen, die Ihr vor ein paar Wochen benutzt habt.«
Er gönnte sich manchmal eine Affäre mit einem weiblichen Gast des Clubs, aber sie dauerte selten mehr als einen oder zwei Tage. Dafür sorgte er. »Die Blonde oder die Rothaarige?«
»Weder noch.« Sein Seneschall sah auf seine Uhr. »Es war eine Brünette. Sehr hübsch und ziemlich elegant.«
»Die Schauspielerin. Ich erinnere mich. Mein Gott, was für eine Verschwendung.« Sie war eine gepflegte Schönheit gewesen und so habgierig wie eine venezianische Adlige, die das Familienvermögen aufbessern wollte. Ihre Durchtriebenheit hatte ihn so amüsiert, dass er sie in drei aufeinanderfolgenden Nächten genommen hatte. »Sie wirkte auf mich nicht lebensmüde.« Sie war eher mordlustig gewesen, nachdem er ihr Tête-à-tête beendet hatte. »Finde heraus, was mit ihr passiert ist.«
»Ja, Mylord.« Rafael wandte sich um und ging zur Tür der Suite.
»Noch etwas.« Lucan genoss es zu sehen, wie sein Seneschall stehen blieb und sich seine Schultern versteiften. »Ruf Alisa an und schick sie in mein Büro, wenn sie da ist. Sofort , wenn sie da ist.«
»Wie Ihr wünscht, Mylord.« Rafael verließ die Suite und schloss die Tür leise hinter sich.
Sein Seneschall missbilligte seine Vergnügungen, dessen war Lucan sich bewusst. Zweifellos fand Rafael, dass der Suzerän dieses komischen Haufens die Rolle des Pfarrers spielen sollte, der jede Nacht seine Runde durch den Jardin drehte, den Leuten Händchen hielt, sich ihre Sorgen anhörte und weise Ratschläge gab. Dass er sie mit starker, aber gütiger Hand sicher und geschlossen durch die vor ihnen liegenden Jahrhunderte führte.
Stattdessen mussten sie mit Lucan vorliebnehmen, der so gütig war wie ein Feuerfisch und zehnmal so tödlich.
Die Mitglieder von Lucans Jardin waren zuerst nicht begeistert von seinem Nachtclub gewesen, denn sie hatten zweihundert Jahre damit verbracht, sich in die Gesellschaft von Südflorida zu integrieren, und versucht, wie irgendeine Gruppe von Einwanderern zu wirken. Alles, was die Aufmerksamkeit auf das lenkte, was sie tatsächlich waren, musste um jeden Preis vermieden werden, deshalb waren sie Ladenbesitzer, Bürgermeister und andere respektable Säulen der Gesellschaft geworden.
Lucan hielt das Infusion dagegen für die passendere Tarnung. Wie konnte der neue Darkyn-Suzerän der Stadt sich besser anpassen als mit einem Gothic-Nachtclub, in dem die ichbezogene junge
Weitere Kostenlose Bücher