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Kein Land für alte Männer

Kein Land für alte Männer

Titel: Kein Land für alte Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
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I
    Einen Jungen hab ich in die Gaskammer von Huntsville geschickt. Nur einen einzigen. Meine Verhaftung, meine Zeugenaussage. Ich bin zwei-, dreimal hingefahren und hab ihn im Gefängnis besucht. Dreimal. Das letzte Mal war am Tag seiner Hinrichtung. Keiner hat mich dazu gezwungen, aber ich hab’s trotzdem getan. Gewollt hab ich’s ganz bestimmt nicht. Er hatte ein vierzehnjähriges Mädchen umgebracht, und ich kann Ihnen gleich sagen, ich hab nie groß das Bedürfnis gehabt, ihn zu besuchen, geschweige denn zu seiner Hinrichtung zu gehen, aber ich hab’s trotzdem getan. In der Zeitung hieß es, es war ein Verbrechen aus Leidenschaft gewesen, aber mir hat er gesagt, mit Leidenschaft hätte das nichts zu tun gehabt. Das Mädchen war seine Freundin, obwohl sie noch so jung war. Er war neunzehn. Und er hat mir gesagt, er hätte schon ungefähr so lange, wie er zurückdenken kann, vorgehabt, jemand umzubringen. Hat gesagt, er würd’s wieder tun, wenn sie ihn rausließen. Und er wüsste, dass er zur Hölle fährt. Hat er mir wortwörtlich gesagt. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich weiß es wirklich nicht. Ich hab gedacht, so einen Menschen würd ich nie zu Gesicht kriegen, und ich hab mich gefragt, ob sich’s vielleicht um eine neue Art handelt. Ich hab zugesehen, wie sie ihn auf dem Stuhl festgeschnallt und die Tür zugemacht haben. Er hat vielleicht ein bisschen nervös gewirkt, aber das war auch schon so ungefähr alles. Ich glaub wirklich, er hat gewusst, dass er in fünfzehn Minuten in der Hölle sein wird. Das glaube ich. Und darüber hab ich viel nachgedacht. Mit ihm zu reden war nicht schwierig. Hat mich Sheriff genannt. Aber ich hab nicht gewusst, was ich zu ihm sagen soll. Was sagt man zu einem, der nach eigenem Eingeständnis keine Seele hat? Warum soll man überhaupt was zu ihm sagen? Darüber hab ich ziemlich viel nachgedacht. Dabei war er noch gar nichts im Vergleich mit dem, was da auf uns zugekommen ist.
Es heißt, die Augen sind die Fenster der Seele. Ich weiß nicht, von was dem seine Augen die Fenster waren, und ich will’s auch gar nicht wissen. Aber da draußen gibt’s einen anderen Blick auf die Welt und andere Augen, die sie sehen, und darauf läuft es raus. Mich hat das in meinem Leben an einen Punkt gebracht, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich je dort hinkommen würde. Irgendwo da draußen gibt’s einen wahrhaftigen, lebendigen Propheten der Vernichtung, und dem will ich mich nicht stellen. Ich weiß, es gibt ihn wirklich. Ich hab seine Werke gesehen. Ich bin ein einziges Mal vor diese Augen hingetreten. Das tu ich nie wieder. Ich werd’s nicht drauf ankommen lassen und aufstehen und losziehen, um ihm entgegenzutreten. Das hat nicht bloß mit dem Älterwerden zu tun. Wenn’s nur so wär. Und damit, was man bereit ist zu tun, hat das auch nichts zu schaffen. Ich hab nämlich immer gewusst, dass man bereit sein muss zu sterben, wenn man diesen Job machen will. Das war schon immer so. Nicht, dass ich damit angeben will, überhaupt nicht, aber so ist es eben. Die merken es, wenn man’s nicht ist. Kriegen es ruck, zuck spitz. Ich glaub, es hat eher damit zu tun, was man bereit ist zu werden. Und ich glaub, dafür müsste man seine Seele aufs Spiel setzen. Und das tu ich nicht.
Heute glaub ich, dass ich das vielleicht nie getan hätte.

Der Deputy ließ Chigurh mit auf den Rücken gefesselten Händen in der Ecke des Büros stehen, während er selbst sich auf den Drehstuhl setzte, seinen Hut abnahm, die Füße hochlegte und mit dem Handy Lamar anrief.
Bin gerade zur Tür reingekommen. Sheriff, der hatte so ein Ding auf dem Rücken, das sieht aus wie eine Sauerstoffflasche für einen Lungenkranken oder so. Und dann war da noch ein Schlauch, der hat durch seinen Ärmel zu so einem Bolzenschussgerät geführt, wie sie’s im Schlachthaus benutzen.
Ja, Sir. So hat’s jedenfalls ausgesehen. Sie können es sich anschauen, wenn Sie kommen. Ja, Sir. Ich hab alles im Griff. Ja, Sir.
Als er vom Stuhl aufstand, hakte er den Schlüsselbund von seinem Gürtel und schloss die Schreibtischschublade auf, um die Schlüssel zum Zellenblock herauszunehmen. Er war leicht vornübergebeugt, als Chigurh in die Hocke ging und die Hände in den Handschellen unter dem Gesäß hindurch bis in die Kniekehlen gleiten ließ. In derselben Bewegung wiegte er sich auf dem gekrümmten Rücken zurück, schob die Kette unter den Füßen hindurch und stand augenblicklich und mühelos auf den Beinen. Es sah

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