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Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman

Titel: Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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fragen darf, bringen Sie uns, guter Mann? « , herrschte Norah den Fahrer an.
    » Wohin Sie sagten, Beekman Place drei. «
    » Du lieber Himmel, besser als in einem Dubliner Slum sieht es hier ja auch nicht aus « , jammerte sie. Als das Taxi schließlich zum Beekman Place kam, war sie doch ein wenig erleichtert. » Hübsches Hüttchen « , bemerkte sie gönnerhaft. Das Taxi hielt vor einem großen Haus, das sich in nichts von den Häusern am Lake Shore Drive, in der Sheridan Road oder der Astor Street in Chicago unterschied.
    » Nicht halb so prächtig wie das Edgewater Beach « , stellte Norah naserümpfend und mit einer dem Mittleren Westen geschuldeten Loyalität fest. » Raus mit dir, mein Schatz, und pass auf, dass du dir deine Frisur nicht versaust. «
    Der Portier musterte uns, mehr als oberflächlich interessiert, und sagte frostig, wir hätten uns in den fünften Stock zu begeben.
    » Komm mit, Paddy « , sagte Norah, » und dass du dich bei deiner Tante Mame benimmst. Sie ist eine sehr elegante Lady. «
    Im Aufzug warf ich kurz einen letzten Blick auf das Foto meiner Tante, nur so, damit sich mir ihr Gesicht einprägte. Ob sie wohl eine Rose im Haar und ein Tuch aus spanischer Spitze trug? Die Aufzugtür öffnete sich, wir traten heraus, die Aufzugtür schloss sich, und wir waren allein.
    » Heilige Muttergottes! Der Vorhof zur Hölle! « , rief Norah.
    Wir standen in einem Vestibül, das pechschwarz gestrichen war. Das einzige Licht kam von den gelben Augen einer merkwürdigen heidnischen Gottheit mit zwei Köpfen und acht Armen, die auf einem Sockel aus Teakholz ruhte. Es machte nicht den Eindruck, als wohnte hier eine Dame, die spanische Spitze trug, ja, es machte nicht einmal den Eindruck, als wohnte hier überhaupt jemand.
    Zwar war ich schon zehn Jahre alt, aber ich nahm Norahs Hand.
    » Wie auf der Damentoilette im Orientalischen Theater, so tut das hier aussehen « , hauchte Norah.
    Schwungvoll drückte sie auf den Klingelknopf. Die Tür öffnete sich, und Norah stieß einen leisen Schrei aus. » Gott, sei uns gnädig! Ein Chinese! «
    Im Türrahmen stand grinsend, kaum größer als ich, ein sehr kleiner japanischer Hausdiener. » Sie wünschen? « , sagte er.
    Mit schwacher, demutsvoller Stimme sagte Norah: » Ich bin Miss, das heißt, ich bin Norah Muldoon. Ich bringe den jungen Mister Dennis zu seiner Tante. «
    Der kleine Japaner hüpfte wie eine mechanische Puppe rückwärts. » Muss Versehen sein. Will keine kleine Junge heute. «
    » Aber « , erwiderte Norah mit mitleiderregender, weinerlicher Verzweiflung, » ich habe doch extra ein Telegramm geschickt, wir würden heute, am ersten Juli, um sechs Uhr ankommen. «
    » Nicht wichtig « , sagte der kleine Japaner mit einem Achselzucken schönsten Ostküsten-Gleichmuts. » Junge hier, Haus hier, Madame hier. Madame hat gerade Gesellschaft. Egal. Kommen Sie herein. Warten Sie. Ich holen sie. «
    » Sollen wir wirklich? « , flüsterte ich Norah zu. Ich warf noch mal einen Blick auf die schwarzen Wände und den Götzen und drückte Norahs raue alte Hand. Sie zitterte schlimmer als meine.
    » Kommen Sie herein. Warten Sie « , sagte der Japaner mit einem düsteren Lächeln. » Kommen Sie herein « , wiederholte er. Es hatte eine hypnotische Wirkung.
    Mit bleischweren Schritten betraten wir das Foyer der Wohnung. Auf verwirrende Art war es sogar noch angsteinflößender als die schwarze Eingangshalle. Die Wände waren in einem kräftigen Orange gestrichen. Durch den gelben Pergamentschirm einer riesigen japanischen Laterne aus Bronze schimmerte ein widerliches Licht. Zu beiden Seiten des Foyers befanden sich Tordurchgänge, verdeckt durch Wandschirme aus Papier, dahinter viele Leute, die viel Lärm machten.
    Der Japaner deutete auf eine lange niedrige Bank, dem einzigen Möbelstück im Raum. » Hinsetzen « , zischte er. » Ich hole Madame. Hinsetzen. «
    Hinter der Bank hing eine große Pergamentleinwand. Sie stellte einen Japaner dar, der sich mit einem Samuraischwert den Bauch aufschlitzte.
    » Hinsetzen « , wiederholte der Hausdiener kichernd und verschwand hinter einem der Wandschirme.
    » Barbarisch « , raunte Norah. Bedenklich knackten ihre Gelenke, als sie sich mit ihrer ganzen Leibesfülle auf der Bank niederließ. » Was hat sich bloß dein armer Vater dabei gedacht? « Das Getöse hinter dem Wandschirm schwoll an, Glas ging zu Bruch. Ich klammerte mich an Norah.
    Unsere Kenntnisse über orientalische Ausschweifungen beschränkten sich

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