Darling Jim
winselndem Motor näher zu ihm steuerte.
»Damit wurde er erstochen«, sagte Niall. »Und wenn Sie die andere Sache wissen wollen, die nur ich Ihnen sagen kann, dann müssen Sie mir versprechen, mich danach laufen zu lassen.«
Ned hatte nach dem schmutzigen Objekt gegriffen und wickelte es so ehrfürchtig wie eine wahre Reliquie aus. Als seine Finger die rostige Klinge berührten, leuchteten seine Augen auf, als halte er nicht das IKEA-Gemüsemesser, das einem mordenden Vergewaltiger die Lunge durchbohrt hatte, sondern die Heilige Lanze aus dem Neuen Testament in der Hand. »Erstaunlich«, murmelte er, und dann lächelte er wie ein geborener Zyniker. »Woher soll ich wissen, dass du das nicht gefälscht und die Serviette selbst zerfetzt hast? Eine ziemlich gute Fälschung, das muss ich zugeben. Habe sie einen Moment lang tatsächlich für echt gehalten.« Er warf die Klinge zu Boden. »Tschüs dann. Bringt ihn weg.«
Theo und Otto packten Niall an den Füßen und schleppten ihn den Pfad hinauf, der in den Wald zurückführte.
»Du bist Torwächter«, schrie Niall rasend schnell, krallte sich in der nassen Erde fest, ohne Halt zu finden. »Du bist seit Jahren Amateurfunker, während dein lieber Bruder in fünf Counties vergewaltigt und gemordet hat. Du hast gesagt, seine einzige Schwäche seien Frauen. Du hast sogar Roisin und Fiona Walsh vor ihm gewarnt, die beiden Mädchen, die ihn mit diesem Messer umgebracht haben. Weißt du überhaupt, dass du mit ihnen gesprochen hast? Mit den Mörderinnen deines Bruders? Und dass die beiden inzwischen auch tot sind? Ich habe ihre verdammten Tagebücher gelesen!« Die beiden Männer hatten aufgehört, an ihm zu zerren, wahrscheinlich auf ein Signal hin, das Niall nicht sehen konnte. »Und der einzige Grund, aus dem ich dich gefunden habe, ist, weil ich eine Landkarte habe, die dein Bruder gemalt hat. Wenn mich nicht alles täuscht, hast auch du eine Tätowierung mit zwei Jungen, die sich an den Händen halten. Denn du und Jim, ihr seid Zwillinge! Habe ich recht? Antworte mir, du verfluchter Krüppel! Du warst der Hüter deines Bruders, stimmt's, du gemeiner Mistkerl?«
Theo und Otto halfen Niall auf und klopften den Dreck und das Laub von ihm ab. Dann trugen sie ihn fast zu dem Herrenhaus, dessen Tür die Haushälterin wieder geöffnet hatte. Der Duft von frischem Kaffee drang sogar bis in seine verstopfte Nase.
Ned hob den Kopf und betrachtete Niall mit einer Mischung aus Neugier und Respekt. Er hatte die Klinge wieder aufgehoben und hielt sie diesmal mit einer Ehrfurcht, die nicht gespielt sein konnte, in der Hand.
»Na, sieh mal einer an«, sagte er und legte den zweiten Gang im Rollstuhl ein. »Du wusstest das Zauberwort ja doch.«
Der Kaffee war so stark, dass Niall schwindelig wurde. Eine Hausangestellte im weißen Laborkittel stand hinter ihm und legte eine kühlende Bandage auf die wunde Haut unter seinem offenen Hemd.
Sein Gastgeber saß am Flügel, einem zerkratzten Bösendorfer, dessen aufgeklappter Deckel die Größe eines Abendbrottisches hatte. Wieder erklangen die Cole-Porter-Lieder in fortissimo und furioso, eines nach dem anderen, bis sie alle gleich klangen. Auf Niall wirkte es, als hätten die leblosen Beine, die von dem Klavierhocker baumelten, den Armen all ihre Kraft und Wut verliehen. Der Zauberer beendete sein Konzert und zögerte kurz. Dann nickte er der Hausangestellten zu, die sich sofort zurückzog und die Flügeltüren hinter sich schloss.
»Besuch zu haben ist gar nicht so schlecht«, sagte Ned, glitt wie ein Krebs in seinen Rollstuhl und fuhr zwei Zimmer weiter, bevor Niall ihm antworten konnte.
Niall folgte ihm und bemerkte auf dem Weg silbern gerahmte Familienfotos, die Ned und Jim als Jungen darstellten. Gesund und lebendig, mit der arroganten Lässigkeit von Kindern, die wissen, dass ihre Eltern reich sind. Angeschlagene Cricketschläger und Hurleys hingen über einem Kamin. Im nächsten Zimmer gab es Ölbilder, die das Licht zu scheuen schienen. Außerdem noch Renaissancevasen.
Aber ein staubiges Foto, das hinter zwei Golfpokalen fast nicht zu sehen war, ließ Niall innehalten.
Es zeigte eine junge, blonde Frau auf einer Schaukel zwischen den Zwillingen sitzen. Alle drei grinsten verschwitzt und sommerglücklich, und es war unmöglich zu sagen, ob Jim oder Ned seine Hand ein bisschen zu besitzergreifend um ihre Taille gelegt hatte. Die Haut der Frau war so weiß, dass ihre Augen auf dem alten Schwarz-Weiß-Foto schwarze Tümpel
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