Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
Vom Netzwerk:
zuerst für eine Kommode oder ein Klavier gehalten, aber nun wusste er, woher das Geräusch stammte. Und dafür musste er nicht einmal das Tuch lüften.
    »Du bist clever, Junge«, sagte der überlebende Zwilling, der Nialls Blick gefolgt war. »Willst du den alten Sparky mal sehen? Habe ihn in letzter Zeit schwer vernachlässigt, seit ... « Er ließ die unausgesprochenen Worte auf den Boden fallen, wo sie vertrockneten.
    »Aber vorher hast du mit dem Transceiver Leute gewarnt«, sagte Niall, der sich langsam wieder mutiger fühlte. Wer war dieser melodramatische Wichser, der sich ausdrückte, als habe er im Arsch der Queen sprechen gelernt? »Als Jim noch gemordet hat. Warum hast du nicht einfach die Polizei gerufen und ihn aufgehalten? Oder wäre dir das zu langweilig gewesen?«
    »Warum bist du überhaupt hier?«, spuckte Ned und griff nach dem Steuerknüppel an seiner Armlehne. »Um Banalitäten auszutauschen?«
    »Ich muss einen Auftrag vollenden, der mir übertragen wurde«, sagte Niall. Es gefiel ihm, die Worte zum ersten Mal laut auszusprechen. Schade, dass Fiona, Roisin und Aoife ihn nicht hören konnten. »Ich will für ein paar Freunde die letzten Puzzlestücke einfügen. Sie können es leider nicht mehr selbst tun.«
    Neds Blick schien in weite Fernen zu schweifen, als befände er sich in der Vergangenheit, mit seinem Bruder und noch jemandem, über den sein Gesicht nichts verriet. »Und sie hätten ohnehin nicht auf mich gehört, nicht wahr? All diese Frauen wollten gefährliche Leidenschaft. Das ist alles. Ich liebe Jim. Ich spreche ganz bewusst nicht in der Vergangenheit, denn der Mistkerl ist immer noch mein Bruder. Als er vor dreizehn, nein fünfzehn Jahren hier abgehauen ist, war mir klar, dass er früher oder später Mist bauen würde. Aber ihn bei der Polizei verpfeifen? Das wäre doch nicht anständig gewesen.«
    »Aber dann«, sagte Niall und ließ sich auf die Logik eines Mannes ein, der sich tagaus, tagein nur mit leblosen Objekten beschäftigte. »Dann wurde dir klar, dass sich etwas verändert hatte. Etwas, worüber in der Zeitung berichtet wurde. Der Wolf schlug zum ersten Mal zu, und er fand Gefallen an dem Blutrausch, der in ihm tobte.«
    Ned sah aus, als wäre er trotz seiner Behinderung am liebsten aufgesprungen und hätte Niall erwürgt. Dann schien er in sich zusammenzufallen. Er nickte in Erinnerungen versunken. »Er fing damit an, mir Geschenke zu schicken. Souvenirs. Er hörte nicht auf. Soll ich sie dir mal zeigen?« Ohne die Antwort abzuwarten, fuhr der gelähmte Prinz zu einem Schrank und nahm einen Lederbeutel von der Größe eines kleinen Fußballs heraus. Er öffnete ihn, und augenblicklich war der Boden von glänzenden Frauenohrringen der unterschiedlichsten Formen und Größen bedeckt. Ned hob lächelnd einen auf.
    »Der allererste bestand aus billigem Blech und Glassteinen«, sagte er. »Eine Kellnerin oder ein Mädel, das von der Sozialhilfe lebte. An dem vierten, der hier ankam, klebte ein bisschen getrocknetes Blut, und danach schaltete ich den alten Sparky an, um den Schaden in Grenzen zu halten. Er hat früher Jim gehört, weißt du? Die Ironie ist köstlich, nicht? Natürlich starben Mum und Dad in dem Glauben, sie hätten zwei perfekte Gentlemen großgezogen.«
    Niall blieb eine Weile stumm. Er lauschte dem Piepen und wusste, dass es sehr dumm gewesen war, sich ganz allein in die Hände dieses Verrückten zu begeben.
    »Du bist also auch ein Geschichtenerzähler«, sagte Ned nachdenklich. »Wie mein Jimmy? Stehst du auch auf Zauberer, Drachen und holde Jungfern?«
    »Ich bin kein seanchai«, wehrte Niall ab. »Ich will die Geschichte meiner drei Freundinnen zeichnen. Als Comic. Aber ich bin noch nicht sehr weit gekommen.«
    Der Zauberer schlug seine magischen Hände zusammen und lachte. »Ein Comic? Für Kinder? Das ist ja wundervoll! Aber wann erzählst du nicht Jims Geschichte? Die ist doch viel spannender. «
    Niall sah in Neds bernsteinfarbenen Augen, hinter denen Jims unberechenbarer Jähzorn lauerte. Aber er blieb standhaft. »Weil er seine eigene Geschichte wieder und wieder erzählt hat. Die ermordeten Frauen bekamen nur eine Todesanzeige in der Lokalzeitung und eine Beerdigung mit geschlossenem Sarg.«
    Ned drückte den roten Knopf auf seiner Lehne noch einmal.
    Er sah seinen Gast mit einem Ausdruck an, der beinahe aufrichtige Reue war. »Ich weiß, welche Geschichte er erzählt hat«, sagte er. »Sie handelt von einem Prinzen, der seinen verkrüppelten

Weitere Kostenlose Bücher