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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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immer noch ein Vermögen an Studiengebühren schuldete. Ironisch, dass ihm das, was er dort gelernt hatte, wahrscheinlich nie einen Cent einbringen würde. Aber die Krönung war der grell orangefarbene Aufkleber ZWANGSRÄUMUNG IN 30 TAGEN, der an seiner Wohnungstür prangte. Jennifer von gegenüber lief an ihm vorbei, als er gerade versuchte, ihn abzuziehen, aber sie tat so, als habe sie nichts bemerkt.
    Niall machte sich eine Tasse Tee und legte Oscar ein paar Teebeutel auf den Tresen, die dieser nach Herzenslust zerreißen konnte. Das Biest hatte ihm doch tatsächlich gefehlt. Er betrachtete seine bescheidenen Besitztümer. Nichts deutete darauf hin, dass er wie ein mittelalterlicher Ritter für edle Jungfern gekämpft hatte, von denen zwei schon tot gewesen waren, als er zu seiner Suche aufbrach. Der Anrufbeantworter war voll, und sein Handy war nur noch als Lampe zu gebrauchen, da er kein Geld mehr gehabt hatte, um die Rechnung zu bezahlen.
    Der einzige Beweis dafür, dass er seine Abenteuer wirklich erlebt hatte, war das zerknitterte Tagebuch mit Wasserschaden, das er immer noch bei sich trug. Er hatte keinen Schatz als Lohn für seine Mühen erhalten, keinen triumphalen Empfang im Burghof, keinen Kuss von der dankbaren Prinzessin. Nun war es an der Zeit, in seine unbedeutende Existenz zurückzukehren und wieder in den Salzminen zu schuften.
    Du hättest dein Tagebuch einem echten Ritter schicken sollen, Roisin, dachte er, blätterte noch einmal darin und dachte an den Moment, in dem er die Stadtgrenze von Castletownbere überschritten hatte. Ihr drei hättet einen besseren Kämpfer verdient, um euer Andenken zu bewahren. Bronagh feiert wahrscheinlich mit einem schicken Abendessen, dass sie den »gefährlichen Perversen« aus der Stadt gejagt hatte, dachte Niall. Hoffentlich wusste Donald Cremin nicht, wie man Telefonbücher las. Er tröstete sich damit, dass er ohnehin nicht mehr lange in dem Betonturm wohnen würde, den er inzwischen wie eine vertraute Narbe lieb gewonnen hatte. Der Zauberer würde auch weiterhin Eindringlinge verfolgen und wahrscheinlich bis an sein Lebensende leugnen, dass er der wichtigste Lehrer seines gelehrigen Bruders gewesen war.
    »O'Driscoll« hatte der stiernackige Bodyguard im Wald Ned genannt. Der Name kam Niall irgendwie bekannt vor, und er versuchte sich daran zu erinnern, was Jim über die Zwillingsprinzen aus seiner Legende erzählt hatte. O'Driscoll war doch die moderne Form des Namens Ua Eitirsceoil, wenn ihn nicht alles täuschte. Zauberei. Blinde Spiegel und doppelte Böden. Er schloss das Buch endgültig, das sich allmählich in seine Einzelteile auflöste.
    Heute Nacht würde er erst einmal richtig ausschlafen. Und morgen würde er nach Malahide fahren und Mr. Raichoudhury um seinen alten Job bitten. Nein, er würde sogar darum betteln. Niall holte einen schwarzen weichen Bleistift aus seiner Tasche und wog ihn einen Moment lang in der Hand. Nichts passierte, er spürte noch nicht einmal ein leichtes Kribbeln. Kein Bild wollte aus seinem Gehirn zu der Spitze des Stiftes vordringen.
    Die Geschichte des Wolfsmannes, der durch das Land streunte und für alle Frauen eine tödliche Gefahr darstellte, war in seinem Inneren so tot wie ein alter Zeitungsartikel. Er brach den Bleistift in zwei Teile und warf ihn in den Müll.
    Meine Güte, war er müde, und die Augen taten ihm weh. Wieder starrte er auf das schwarze Buch. Er würde Roisins Tagebuch auf keinen Fall behalten. Jetzt nicht mehr. Es war zum Mühlstein um seinen Hals geworden. Zu den Bullen? dachte er noch einmal, aber dann wurde ihm klar, dass er die letzte Woche durch ganz West Cork vor ihnen geflohen war. Die Gesetzeshüter würden bei Bronagh anrufen und ihn dann bestimmt mit offenen Armen empfangen. Nein, er musste es wegwerfen, und zwar so, dass niemand es finden würde.
    Aber zuerst musste er ein bisschen Dubliner Luft durch seine Lungen blasen lassen und sein Fahrrad holen. Bei meinem Glück hat's wahrscheinlich jemand geklaut, dachte er trübe und steckte das Tagebuch ein letztes Mal in die Tasche. Aus alter Gewohnheit warf er auch ein paar Stifte hinein. Man konnte schließlich nie wissen. Niall öffnete die Wohnungstür und blickte auf den orangefarbenen Kater, der auf den Küchentresen gesprungen war und ihm zeigte, wie leicht es geht, einen Radiergummi in winzige Fetzen zu zerkauen.
    »Mach kaputt, was du willst, alter Mistkerl«, sagte Niall und zog die Tür hinter sich zu. Hinter ihm blinzelte Oscar, als

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