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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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wolle er sagen: Seit wann brauche ich dazu deine Erlaubnis, alter Blödmann?
    Laut Kalender war es Sommer, aber der Wind, der über den Liffey blies, als Niall sein Fahrrad am Kai entlangschob, fühlte sich sibirisch an.
    Niemand hatte sich an seinem Fahrrad zu schaffen gemacht, obwohl er wieder einmal vergessen hatte, es abzuschließen. Natürlich. Immerhin eine kleine Belohnung dafür, dass er drei verschwundenen Prinzessinnen die Treue gehalten hatte. Er ließ sich von dem arktischen Wind vom Bahnhof zum Stadtzentrum treiben. In der Luft hing mehr Espresso- als Bierduft. Das war schon lange so in dieser glänzenden, neuen Stadt, die das Neue Europa sein wollte und vergessen hatte, dass sie in Irland lag. Niall ging an einem Cafe vorbei, und das schlürfende Geräusch einer Kaffeemaschine trieb ihn weiter. Endlich fand er ein schmuddeliges Pub ohne klangvollen Namen und Korbstühle vor der Tür. Perfekt, dachte er und zückte das Bündel Banknoten, das er gerade im Austausch gegen seinen letzten Lohnscheck erhalten hatte. »Sie sind ein Gott, Mr. Raichoudhury«, murmelte er und ging hinein.
    »Wie geht's?«, sagte der Barkeeper und drehte am Lautstärkeregler des Fernsehers, auf dem eine streng dreinblickende Frau davon sprach, dass zwei Jungs im Norden unter einem abgestürzten Hubschrauber begraben worden waren. »Pint?«
    »Guinness, bitte«, sagte Niall und fühlte sich zum ersten Mal seit Tagen wieder heimisch. Er bezahlte sein Bier und setzte sich an den Tisch, der am weitesten von der Tür entfernt war. Der Schaum war so dick wie Softeis. Hinter ihm prahlten Studenten mit ihrer gestrigen Sauftour, was sich mit dem Fernsehkommentar eines Armeepressesprechers vermischte, der darüber sprach, der Helikopter sei aus »bislang ungeklärten Gründen« abgestürzt. Aus einer Jukebox erklang leise Brothers in Arms, und Niall summte die Melodie mit. Dabei hielt er Roisins Tagebuch vor sich wie eine Gebotstafel, die er am liebsten am anderen Ende der Welt vergraben hätte.
    Er sah die Gestalt erst, als sie sprach. »Alleine trinken bringt Unglück, sagte sie.
    Niall hob den Kopf und erkannte Aoife augenblicklich.
    Die Art, wie sie ihn ansah, ließ keinen Zweifel zu. Direkt.
    Furchtlos.
    »Du ... was? ... «, stammelte er und verschüttete sein Bier wie ein Idiot. Dann riss er sich zusammen.
    »Lass mich einfach kurz reden, okay?«, sagte sie und setzte
    sich. »Geht das?« Ihr frisch geschorenes blondes Haar war beinahe nicht sichtbar, sie trug brandneue pinkfarbene Armeestiefel und einen schwarzen Mantel. Außerdem verbarg sie etwas unter dem Tisch.
    Niall nickte nur und erinnerte sich gerade noch rechtzeitig daran, den Mund zuzumachen.
    »Du hättest jede Menge Chancen gehabt, zur Polizei zu gehen und alles zu erzählen, was du über uns weißt«, sagte Aoife und trank Nialls Bier aus. »Und du hast es nie getan, nicht einmal, als dein Leben auf dem Spiel stand. Dafür wollte ich dir danken. Ich habe dich im Auge, seit du nach Castletownbere gewandert bist. Und jetzt muss ich dir eine Frage stellen.«
    »Klar«, sagte Niall, der seinen Herzschlag bis in die Fingerspitzen spürte. »Alles.«
    Aoife blickte aus dem Fenster auf etwas, das Niall von seinem Platz aus nicht sehen konnte. »Warum bedeuten dir meine Schwestern und ich so viel?«, fragte sie und zupfte nervös an ihrer Nagelhaut. »Warum hast du für uns alles riskiert?«
    »Weil sie begraben wurden, bevor irgendjemand herausfand, was mit ihnen geschehen war«, sagte Niall. »Und weil ich derjenige war, der Fionas Tagebuch gefunden hat. Nicht die Cops. Du hast beide selbst zur Post gebracht. Du solltest es doch wissen. Es war ... «, er suchte nach dem richtigen Wort, » ... meine Aufgabe. Danach hatte ich keine Wahl mehr, oder?«
    »Im Gegenteil. Du hattest jede Wahl«, protestierte sie, lächelte aber unwillkürlich. »Niemand hat dich dazu gezwungen, dich von Cremin und seinen Schlägern durch die Gegend jagen zu lassen. Oder alle fünf Minuten eine Predigt von Bronagh über dich ergehen zu lassen.«
    »Sie macht ihre Sache gut, nicht wahr?«, fragte Niall. »Sie
    sorgt dafür, dass deine Spur kalt bleibt und niemand dich findet?« »Nicht gut genug. Du hast mich gefunden.«
    »Nein. Nur deine Spuren.«
    »Es war trotzdem zu knapp«, seufzte Aoife und blickte zur Bar. »Ich habe auf meinem Weg ein paar Freunde gefunden, die mir helfen, versteckt zu bleiben. Die eine habe ich in einem Laden im Norden kennengelernt. Sie hatte ein Motorrad und wurde zu

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