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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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mühelos zerquetschen können. Und einen Augenblick lang sah es so aus, als hätte dieser aufgeblasene Wichtigtuer genau das vor. Sein herablassendes Lächeln wurde von Sekunde zu Sekunde breiter.
    Und dann sackte ihm der Unterkiefer nach unten, und seine Pranken wurden schlaff.
    Von der anderen Straßenseite aus konnte ich nicht verstehen, was der hübsche Kerl da murmelte, aber sein Tonfall klang nicht wütend. Er streckte sogar die Hand aus und zupfte spielerisch am Ohrläppchen des Schweden, als wären sie alte Freunde. Dann drehte er sich um, lächelte mir zu und ging wieder zu seinem feuerwehrroten Motorrad. Der Fahrer stand wie vom Donner gerührt da und ließ sich den Wind eine Weile in den offenen Mund wehen. Offensichtlich musste er das, was er da gehört hatte, erst einmal verdauen. Was immer es auch gewesen war, hatte ihm einen solchen Schock versetzt, dass er sich nicht rührte, bis seine Freundin schließlich heftig genug an seinem Hemd zerrte, um ihn ins Hier und Jetzt zurückzuholen. Er kam in Bewegung, schoss schneller zurück ins Auto als meine Schüler beim Pausenklingeln aus dem Klassenzimmer und trat das Gaspedal so durch, dass er zwei schwarze Reifenspuren auf dem Asphalt hinterließ. Sekunden später war er an der Kirche vorbei, brauste aus der Stadt und ward nie mehr gesehen.
    Ich weiß, was du jetzt sagen wirst.
    Ich hätte wieder auf mein Fahrrad steigen, weiterfahren und mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern sollen, stimmt's? Daran dachte ich natürlich auch. Aber hätte es dich nicht auch interessiert, was die Wut des Fahrers so schnell verpuffen lassen konnte? Hättest du nicht auch noch ein paar Sekunden abgewartet? Natürlich hättest du das getan. Also lehnte ich mein Fahrrad gegen das Schaufenster des Maklerbüros, nahm meinen Mut zusammen und ging auf ein Pläuschchen zu dem Kerl hinüber, der wieder neben seiner mit Schlamm bespritzten Maschine kniete, aus der so viele lose Drähte und Plastikkabel hingen wie aus einem Unfallopfer. Er summte vor sich hin, ich glaube, ein Wiegenlied. Als wolle er das schmutzige Motorrad gleich hier neben dem Andenkenladen in den Schlaf singen.
    Er wusste schon vor meinen eigenen Füßen, dass ich die Straße überqueren würde. Ich weiß es; ich sah es daran, wie er eine Sekunde lang innehielt, bevor er die nächste Schraube festzog.
    »Alles klar?«, fragte er, ohne sich umzudrehen. Er klang ein bisschen nach Dublin, mit einem Hauch von Cork und einer Überdosis Nirgendwo. Seine Stimme war so weich wie die einer Katze.
    »Denke schon«, antwortete ich und kam mir dämlich vor. Ich trug meine Lehrerinnenklamotten, wadenlanger Rock und vernünftige Schuhe. Das unerotischste Outfit, in dem man einen Mann kennenlernen konnte. Mein verdammtes Pech.
    Dann drehte er sich um und sah mich an.
    Es war nicht so, dass sich der Boden unter meinen Füßen auftat oder so ein Quatsch. So etwas gibt es nicht. Aber ich schwöre auf einen Stapel Bibeln, dass sein Anblick mich in diesem Augenblick mit einer Art Hoffnung erfüllte, die man eigentlich nur sehr früh im Leben verspürt und dann nur noch sehr selten wiederfindet. Als seien alle Gedanken, die in meinem Kopf herumspukten, plötzlich wichtiger und wertvoller als alles andere auf der Welt. Denn er flirtete nicht mit mir oder zwinkerte oder lächelte. Er starrte in meine Augen, hinter die Iris, hinter das Gehirn und die Eingeweide und den ganzen Rest, und leuchtete mich mit einem geheimen Scheinwerfer bis in den letzten Winkel aus. Dann kroch er wieder nach draußen, offenbar zufrieden mit dem, was er gesehen hatte. Ich kann dieses Gefühl nur so beschreiben. Ich kam mir vor, als halte mich ein riesiges Tier in den Klauen, vor dem ich aber keine Angst hatte, denn ich wusste, es würde mir niemals etwas tun, auch wenn es für den Rest der Welt eine Gefahr darstellte. Denn hinter der spielerischen Geste, mit der er das Ohr und die unrasierte Wange des Touristen berührt hatte, steckte nicht Zuneigung, sondern ein Versprechen. »Hör nicht auf meine Worte, aber merk dir, dass ich kein Problem damit habe, dir deinen hässlichen Kopf abzureißen und auf der Straße damit Fußball zu spielen.« Das war so sicher wie das Amen in der Kirche, und dennoch wich ich nicht vor ihm zurück. Was brachte mich dazu zu bleiben? Es war nicht nur Neugier oder die billige Erregung der Vorstellung, mit ihm in einer ruhigen Nebenstraße eine schnelle Nummer zu schieben.
    Ich kann es nur so erklären: Seine Stimme hatte mich

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