Darling Jim
kleinen Biester nur noch mehr anzuheizen. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Das Ende der Stunde lag noch in weiter Ferne.
Dann hörte ich ein dumpfes Röhren.
Es drang durch den Lärm in mein Ohr, erst weit entfernt, dann immer lauter und näher, bis das Kreischen nachließ und dann verstummte, weil alle Kids ebenfalls darauf lauschten. Ich erkannte sofort, was es war. Das satte, stockende Knurren eines alten Motorradmotors, der mehr als einmal täglich den Geist aufgab und repariert werden musste. Ich schaute aus dem Fenster, sah aber nur mein schäbiges Fahrrad neben den noch schäbigeren Ford Fiestas auf dem Lehrerparkplatz bei der Hecke. Die Straße konnte ich nicht sehen, aber ich reckte dennoch den Kopf, in der vergeblichen Hoffnung, einen roten Blitz vorbeischießen zu sehen.
Dann wurde das Geräusch leiser und ging schließlich in dem plötzlich auf das Dach trommelnden Regen unter.
Liam, ein Schüler, der so wenig wog, dass ich ihn zusammengeklappt in meinem Rucksack tragen könnte, lächelte. Und das war außergewöhnlich. Liam war die Art Junge, der von den anderen so oft in das Wasser der Bucht geschubst wurde, dass seine graue Uniform inzwischen braunfleckig aussah, wenn sie ausnahmsweise trocken war. Er machte im Unterricht kaum den Mund auf, und tat er es doch, schaute er dabei immer auf Jungs wie David, um abzuschätzen, welche Strafe ihn später dafür erwarten würde. Aber heute war irgendetwas anders. Er strahlte wie ein Leuchtturm.
»Sie haben es auch gesehen, stimmt's, Miss?«, fragte er mit glänzenden Augen. »Das Motorrad, meine ich. Stimmt's?«
Alle Gesichter drehten sich erwartungsvoll in meine Richtung, darunter auch ein paar, die wie ich heute Morgen die feuerrote Rock-'n' -Roll-Maschine durch die Stadt brettern gesehen und sich gefragt hatten, woher sie wohl kam. Ich überlegte kurz, ob ich die Frage verneinen sollte. Nicht, weil ich Liam seinen wohlverdienten Sieg nicht gönnte, sondern weil ich Angst hatte, man würde aus meiner Antwort heraushören, wie sehr mich meine kurze Begegnung mit einem Mann, der sich Jim nannte und puren Sex ausstrahlte, beeindruckt hatte. Ich horchte noch einmal nach dem Geräusch seiner Maschine, aber draußen war nur noch normaler Verkehrslärm von Normalsterblichen in Lieferwagen und Bussen zu hören.
Schließlich sah ich Liam an und nickte.
»Ja«, sagte ich und hielt meinen Tonfall so neutral wie das Lächeln der Sphinx. »Ja, das stimmt.«
Finbar schwieg bei unserer gemeinsamen Teestunde natürlich die meiste Zeit nachdenklich.
Ich liebte ihn, ehrlich. Nicht wegen seines auf Hochglanz polierten Mercedes S 500L, den er, wenn wir zusammen ausgingen, immer in Sichtweite parkte. Und auch nicht, weil er der mit Abstand attraktivste Kerl von Castletownbere war und mehr als eine Million Pfund im Jahr dadurch verdiente, dass er »authentische irische Traumhäuser« an Leute verscherbelte, die erst durch ihn überhaupt merkten, dass sie von einem Haus in Irland geträumt hatten.
Nein, ich war damals schon seit mehr als einem Jahr mit Finbar zusammen, weil er mir zuhörte. So einfach war das. Ich merkte recht früh, dass es einen Unterschied zwischen geheucheltem Interesse gab, das nur dazu dient, eine Frau ins Bett zu kriegen, und echter Neugier. Finbar hörte mir immer aufmerksam zu und achtete auf alle Nuancen und Widersprüche. Manchmal kam ich mir vor, als wäre ich mit einem Lügendetektor zusammen, denn ihm entging nichts. Er nickte, runzelte seine schöne Stirn, verengte die blauen Augen und wartete, bis ich ihm alle Erlebnisse meines Tages erzählt hatte.
Ich glaube, dies war seine Auffassung von Liebe. Er wartete ab und hielt sich so lange zurück, bis er sich sicher war. Ich war glücklich. Oder jedenfalls nicht unglücklich, und damals war das für mich noch ein und dasselbe. Falls es dich interessiert, in den ersten zwei Monaten unserer Beziehung hatten wir ein ziemlich wildes Sexleben. Stürmisches An-die-Wand-Drücken und Über-mich-Herfallen und so Zeugs. Er wollte wohl nicht hinter dem deutschen Potenzprügel zurückstehen, den er fuhr. Aber solche Begegnungen waren bereits selten geworden, als ich mich an diesem Tag zu unserer traditionellen Teestunde einfand, bevor ich mit meinen Schwestern zum Abendessen verabredet war.
Und weil er so gut zuhören konnte, hörte er auch das, was ich nicht erzählte.
Der Himmel machte sich bettfein und färbte das alte republikanische Monument vor dem Cafe lachsrosa. Der Schatten des keltischen
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