Darling
Trinkpackungen um die Ohren warfen, und abgekämpften Frauen mit Kopftüchern und überquellenden Einkaufstüten? Das war Absurdistan. Aber das war irgendwie auch Frankfurt. Jetzt fuhr die Linie 11 mit einer Horde aufgebrezelter Teenager, die zu Hause schon mal vorgeglüht hatten, Richtung „Halli-Galli“. Adrian ekelte sich vor den billigen Flatrate-Partys in einigen Frankfurter Discos, die auch seine Schwester anzogen wie Motten das Licht.
Respekt hatte er dagegen vor den Frankfurter Straßenbahnfahrern. Denn die blieben, trotz all dieser marodierenden Horden, meist stoisch und gelassen. Straßenbahnfahrer hatten eben irgendwie ein Ziel. Und wenn es nur die nächste Haltestelle war, die sie beharrlich im Frankfurter Verkehrsdschungel ansteuerten.
Was er in seinem Leben für ein Ziel hatte, konnte Adrian nicht sagen. Er war nie wirklich in die bürgerliche Spur von Aufstieg und Anpassung gekommen, die seine Eltern ihm lange Zeit zufrieden vorgelebt hatten. Mittlerweile hatte dieses Ziel fast alle seine früheren Mitschüler und Kommilitonen erfasst. Seit es Annika in seinem Leben gab, fühlte Adrian sich von dieser Zukunftsperspektive wie eingefangen.
Die Ampel sprang auf Grün, und Adrian bog in die Mainzer Landstraße ein. Schwarz und nass schimmerte der Asphalt in der hellen Straßenbeleuchtung. Was hatte Karl gesagt? Wo verdammt noch mal war der Zettel mit dem Namen der Tante? Flüchtig überflog er die Adresse. Noch zwanzig Minuten bis zur Elektronstraße. Das reichte allemal für einen Stopp bei Burger King.
Vor der Esso-Tankstelle an der Rebstöcker Straße hielt er den Wagen an. Sein Blick fiel aufs Handy. Das Display signalisierte ihm eine zweite ungelesene SMS. Adrian atmete tief durch. In dem Moment fiel ihm siedendheiß ein, dass er seinen Haustürschlüssel beim Taxitausch im Handschuhfach vergessen hatte.
„Mist!“ Unbeherrscht schlug er aufs Lenkrad. In dem Moment klingelte sein schwarzes Motorola.
3
Annika war nervös. Warum meldete Adrian sich nicht auf ihre SMS? Sollte sie ihn anrufen? Oder ihn in Ruhe lassen? Wieso lebte er immer so planlos in den Tag hinein? Warum machte er verdammt noch mal nichts Vernünftiges aus seinem ausgezeichneten Geografieabschluss?
Taxifahren gefalle ihm, rechtfertigte er sich einsilbig, wenn sie ihn darauf ansprach. Die Menschen, die Einsamkeit im Wagen, die Nachtschichten. Das sei das echte Leben, verteidigte er seinen Job.
Sein trotziges Beharren machte sie zunehmend zornig. Ihrer Auffassung nach verplemperte er sein Leben. Als sie sich vor zwei Jahren in der MainArena bei der Fußballweltmeisterschaft kennengelernt hatten, hatte es sofort gefunkt. Adrian war ihr privates Sommermärchen. Wie viele wunderbare Zukunftspläne hatten sie damals geschmiedet. Und jetzt? Seit einem halben Jahr kriselte ihre Beziehung gewaltig. Auf ihren Druck, sich endlich einen vernünftigen Job zu suchen, reagierte er zunehmend abweisend und verschlossen. Vor kurzem war er dann erstmals einfach abgetaucht. Einfach verschwunden für ein, zwei Nächte. Und dann mit einem strahlenden Lächeln gut gelaunt wieder aufgetaucht. Als wenn er nur für fünf Minuten weg gewesen wäre.
Mit der Hand strich sie sich eine lange blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Unschlüssig schaute sie auf die Tastatur ihres Handys. Vielleicht dauerte seine Taxischicht heute Nacht ja gar nicht so lange, und es machte Sinn, auf ihn zu warten. Sie liebte es, neben ihm einzuschlafen. Auf keine der beiden SMS war jedoch eine Antwort gekommen. Unschlüssig schaute Annika aus dem Wohnzimmerfenster auf den Main.
Morgen früh musste sie topfit sein, um bei MyWay ihren zugesagten Statusbericht für die Eventabteilung zu präsentieren. Gedankenverloren schaute sie auf das Sachsenhäuser Flussufer und über das dunkel dahinfließende Wasser zu den verrosteten Kränen an der Ruhrorter Werft. Irgendwo da draußen in der Stadt war Adrian unterwegs. Und sie war hier und wünschte ihn sehnsüchtig zurück.
Seit ihrem Berufseinstieg vor knapp elf Monaten als Projektleiterin für E-Mail-Marketing in der Agentur an der Hanauer Landstraße war es für sie beruflich steil bergauf gegangen. Adrian blieb dagegen immer weiter zurück. Zu oft zerbrach sie sich den Kopf, was die Ursache dafür war, dass Adrian sich so beharrlich dem realen Leben verweigerte und immer öfter in seine merkwürdige Taxiwelt flüchtete.
Wenn sie ihn zur Rede stellte, küsste er sie und versicherte ihr mit seinen wunderschönen bernsteinfarbenen
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