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Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)

Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)

Titel: Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giulia Enders
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können uns auch am Weihnachtsabend satt und zufrieden auf der Couch einschlafen lassen. Bei einigen können wir ganz bewusst sagen, dass sie vom Bauch kommen; andere werden in unbewussteren Hirnbereichen verarbeitet und können daher nicht so zugeordnet werden.
    Bei Menschen mit einem gereizten Darm kann die Verbindung vom Darm zum Hirn sehr belastend sein. Das sieht man auch auf Hirnscans. In einem Experiment wurde Probanden ein kleiner Ballon innerhalb des Darms aufgeblasen, während gleichzeitig Bilder der Hirnaktivität erstellt wurden. Bei beschwerdefreien Testpersonen bekam man ein normales Hirnbild ohne auffallende Gefühlskomponenten. Bei den Reizdarm-Patienten dagegen löste das Ausdehnen des Ballons eine deutliche Aktivität in einem emotionalen Hirnbereich aus, in dem sonst unangenehme Gefühle verarbeitet werden. Der gleiche Reiz konnte bei diesen Probanden also beide Schwellen überwinden. Die Patienten fühlten sich schlecht, obwohl sie gar nichts Schlimmes getan hatten.
    Beim Reizdarm-Syndrom spürt man häufig ein unangenehmes Drücken oder Gluckern im Bauch und tendiert zu Durchfall oder Verstopfungen. Betroffene leiden überdurchschnittlich häufig auch unter Angstzuständen oder Depressionen. Experimente wie die der Ballon-Studie zeigen, dass Unwohlsein und schlechte Gefühle über die Darm-Hirn-Achse entstehen könnten – wenn die Schwelle des Darms abgesenkt ist oder das Hirn die Information unbedingt haben will.
    Mögliche Ursachen für einen solchen Zustand können über einen längeren Zeitraum andauernde winzige (sogenannte Mikro-)Entzündungen, eine ungute Darmflora oder unentdeckte Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten sein. Einige Ärzte betrachten Reizdarm-Patienten trotz aktueller Forschungsergebnisse allerdings immer noch als »Hypochonder« oder Simulanten – weil sich bei Untersuchungen keine sichtbaren Schäden im Darm finden lassen.
    Das ist bei anderen Darmerkrankungen anders. Während akuter Phasen sind bei Menschen mit einer chronischen Entzündung im Bauch wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa im Darm tatsächlich echte Wunden festzustellen. Bei diesen Patienten liegt das Problem nicht darin, dass schon kleine Reize aus dem Darm in das Gehirn gelangen. Bei ihnen halten die Schwellen so etwas noch auf. Es ist die erkrankte Darmschleimhaut, die für die Beschwerden sorgt. Ähnlich wie die Reizdarmpatienten sind aber auch unter diesen Betroffenen höhere Raten an Depressionen und Angstzuständen zu verzeichnen.
    Momentan gibt es nur wenige, aber dafür sehr gute Forscherteams, die an der Stärkung von Darm- und Hirnschwelle forschen. Das ist nicht nur für Patienten mit Darmproblemen von Bedeutung, sondern für alle Menschen. Stress ist vermutlich einer der wichtigsten Reize, die Hirn und Darm miteinander besprechen. Wenn unser Gehirn ein großes Problem (wie Zeitdruck oder Ärger) fühlt, dann will es dieses Problem lösen. Dafür braucht es Energie. Die leiht es sich vor allem vom Darm. Der Darm bekommt über sogenannte sympathische Nervenfasern mitgeteilt, dass hier gerade eine Notsituation herrscht und er ausnahmsweise gehorchen muss. Er spart kollegialerweise Energie beim Verdauen ein, produziert weniger Schleimstoffe und fährt seine eigene Durchblutung herunter.
    Dieses System ist allerdings nicht für die Daueranwendung gebaut. Wenn das Gehirn permanent Ausnahmesituationen meldet, nutzt es die Gutmütigkeit des Darms aus. In so einem Moment muss der Darm auch mal unschöne Signale zum Gehirn schicken – sonst ginge es ja immer so weiter. Wir können uns dann abgeschlagener fühlen oder unter Appetitlosigkeit, Unwohlsein oder Durchfall leiden. Wie beim emotionalen Erbrechen in einer aufregenden Situation wird der Darm auch hier Nahrung los, um mit dem Energieentzug durch das Gehirn fertig zu werden. Mit dem Unterschied, dass echte Stressphasen sehr viel länger andauern können. Wenn der Darm zu lange herhalten muss, ist das für ihn ungesund. Fehlende Durchblutung und ein dünnerer Schleimschutzmantel schwächen die Darmwände. Die darin hausenden Immunzellen schütten dann besonders viele Signalstoffe aus, die das Darmhirn immer stärker sensibilisieren und so die erste Schwelle herabsetzen. Stressphasen bedeuten geliehene Energie – man sollte nie zu viele Schulden machen, sondern versuchen, möglichst gut zu haushalten.

Eine Theorie von Bakterienforschern ist außerdem: Stress ist unhygienisch. Unter den veränderten Lebensbedingungen im Darm überleben nämlich

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