Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand
fittest“, vom Niveau der lebenden Organismen auf die Ebene ihrer DNA – also vom Phänotyp auf den Genotyp. An die Stelle der Ressourcenkonkurrenz lebender Organismen tritt ein Vermehrungs- und Ausprägungswettkampf der Allele. Jede Spielform eines Gens versucht möglichst viele Kopien von sich selbst hervorzubringen, indem es eine leistungsfähige, möglichst fehlerfrei arbeitende Vervielfältigungsmaschinerie um sich herum aufbaut. Und diese Massenkopierer sind wir selbst, die lebenden Organismen. Das Gen als die fundamentale Einheit der Selektion, das den Körper nur als „Überlebensmaschine“ benutzt – das mag bei so manch sensiblem Zeitgenossen der Gattung Homo ziemlich am Selbstbewusstsein nagen, sich selbst als Reproduktionsapparat bewertet zu sehen. Aber wie gesagt, das Ganze ist ein Gedankenspiel. Also weiter in Dawkins’ Text. Alle Lebewesen wurden also zu dem Zweck entwickelt, ertragreiche Vervielfältigungsarbeit für die Allele zu leisten. Jede Organismenart ist somit das Produkt seiner „egoistischen Gene“. Begonnen hat das Ganze vor mehr als drei Milliarden Jahren in der Ursuppe unseres Planeten. In Laborexperimenten wurde bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Miller, ab 1952; Oro et al. 1971) nachgewiesen, dass sich unter den Bedingungen einer reduzierenden Atmosphäre 18 , wie sie auf der Früherde herrschten, in der Ursuppe Nukleinsäuren – quasi die Urahnen unseres Erbmoleküls DNA – bilden konnten. Bemerkenswert daran waren vor allem zwei Punkte. Zum einen konnte diese primäre Bildung autokatalytisch erfolgen, d. h. ohne helfende Enzyme, allein durch Nutzung der atmosphärischen Energien. Zum anderen – besonders interessant im Hinblick auf die Karriere als Erbsubstanz – waren diese Nukleinsäuremoleküle replikationsfähig, indem sie sich selbst als Vervielfältigungsmatrize nutzten. Anfangs liefen diese Kopiervorgänge noch mit sehr hoher Fehlerquote ab, da Korrekturmechanismen fehlten. Heute wäre das äußerst ungünstig, da häufige Änderungen in der DNA-Sequenz (Mutationen) keine Merkmalsstabilität gewährleisten und dann nicht selten krankhafte Varianten (Erbkrankheiten) entständen. In der Frühphase des Lebens sorgte diese Ungenauigkeit immerhin für Vielfalt – sozusagen eine evolutionäre Spielwiese. Und schon jetzt ging es los mit dem Konkurrenzkampf, dem „survival of the fittest“. Fitness bedeutete auf diesem Niveau Kopiergenauigkeit. Die Selektion hatte hier noch einen einfachen Job. Je exakter eine Matrize arbeitete, desto mehr originalgetreue Abbilder ihrer selbst brachte sie hervor – die direkteste Form von natürlicher Zuchtwahl. Im Laufe der Jahrmilliarden entwickelte sich dann eine überaus komplexe Replikationsmaschinerie, in der bei vielen Organismen die DNA die Rolle des Hauptinformationsträgers, des Rezeptbuches für die Merkmalsausbildung, übernahm. Für die Genauigkeit ihrer Reproduktion – Garant für die Merkmalsstabilität – sowie die Informationsumsetzung (Merkmalsausbildung) ist heute ein auf das Feinste abgestimmtes „joint venture“ verschiedener Biokatalysatoren (Enzymen), Ribonukleinsäuren (RNAs) und zahlreicher Kofaktoren verantwortlich. Wirkungsvolle Reparaturmechanismen spüren Kopier- und Einbaufehler auf und sorgen für Korrektur. Dennoch arbeitet dieses System nicht 100 % perfekt, der eine oder andere Mutant flutscht durch die Maschen. Doch ist die Mutationsrate um zig Größenordnungen kleiner als in der Kinderstube des Lebens, aber immer noch hoch genug, evolutionäre Variation zu ermöglichen. All diese Komplexität nimmt Dawkins’ Gedankenspiel des egoistischen Gens freilich nicht seinen Reiz. Das menschliche Attribut, das Dawkins den Kochrezepten des Lebens hier verleiht, wird keinen logisch Denkenden zu der Annahme verführen, der Autor möchte einem chemischen Molekül Leben und einen selbstgefälligen Willen einhauchen. Gene sind als reine DNA-Sequenzen nichts anderes als Baupläne für Organismen. Isoliert betrachtet handelt es sich um „tote“ Materie, die ohne das biologische Drumherum nichts Lebendiges an sich hat und daher auch keine Wettstreitmentalität entwickeln kann. Das weiß natürlich auch Dawkins, und es geht ihm doch nicht darum, hier Science-Fiction zu betreiben. Die Veranschaulichung, was Variation, Konkurrenz und Auslese bedeutet das ist es, was Dawkins bezweckt. Evolution im Sinne Darwins in einer reinen und unkomplizierten Form, bei der nur ein Parameter, die
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