Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand
Selbstvermehrung, in den Fokus gestellt wird. Unter diesem Blickwinkel muss jeder Wettkampfteilnehmer egoistisch sein.
An eines dürfte Dawkins wohl nicht gedacht haben, was aber im Hinblick auf unsere aktuelle Kritikerdiskussion interessant ist. Auf die Idee eines „Gen-Krieges“, einer blutrünstigen Schlacht zwischen egoistischen Genen, dürfte selbst der schärfste Darwingegner nicht kommen. Hier läuft der Wettstreit ganz ohne direkte Kontaktaufnahme ab. Aber, liebe Kritiker, das, was ihr immer fordert, den Stellenwert von Kooperation gebührend zu würdigen, lässt sich schon auf diesem chemischen Level praktizieren. Welche Allele werden am erfolgreichsten sein? Das sind jene, denen es gelingt, die effizienteste Replikationsmaschinerie um sich herum aufzubauen. In diesem System muss das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen am Kopiervorgang beteiligten Molekülklassen (Enzyme, Nukleinsäuren u. a.) reibungslos funktionieren. Fehler im Produktionsablauf mindern die Erfolgsaussichten.
Ein Schmunzeln zaubert es einem schon ins Gesicht, sich durch Dawkins vom Thron des intellektuellen Denkers, der mit all seiner Forschung auf der Suche nach einem höheren Sinn seines Daseins ist, auf das Niveau einer Kopiermaschine für die eigenen Gene herabgestuft zu sehen. Aber letztendlich ist diese Verlagerung des Konkurrenzkampfes auf die reine Informationsebene die konsequenteste Lösung, da alle Lebensäußerungen, d. h. die konkurrierenden Phänotypen, in den Genen ihre Basis haben. Wie immer man Dawkins’ Gedankenspiel beurteilen mag, einen interessanten Blickwinkel auf das Evolutionsgeschehen nach dem Prinzip von Konkurrenz und Auslese liefert es allemal. Die Kritiker mögen das freilich anders sehen. Die ausdrückliche Betonung, dass es sich bei Dawkins’
selfish genes
um ein Gedankenspiel, eine metaphorische Darstellung handelt, die eine von Lebewesen gezeigte Verhaltensstruktur auf die basale Ebene einer toten Informationseinheit verschiebt, findet in die Ohren der Kritiker keinen Eingang. Lieber versucht man Dawkins’ Idee einerseits der Lächerlichkeit preiszugeben, sie aber andererseits auch zu nutzen, den schon Darwin gemachten Vorwurf eines ausschließlich am Egoismus ausgerichteten Evolutionsmodells zu bestärken. Im Verborgenen habe Dawkins nämlich mit seinem „
egoistischen Gen
“ etwas anderes im Sinn gehabt – die Flucht aus der „Altruismus-Zwickmühle“ des Evolutionsmodells. Altruismus bis hin zur Selbstopferung zum Wohle der Allgemeinheit sei so weit verbreitet und um so vieles bedeutender als (gewalttätige) Konkurrenz, dass auch der Darwinismus um eine Erklärung nicht herumkäme. Diese Lücke habe Dawkins nach Kritikermeinung mit einer Utopie schließen wollen. Denn mit Altruismus-Genen, die selbst egoistisch genug sind, sich gegen alle DNA-Konkurrenz durchzusetzen, ließe sich die offensichtliche Dominanz von Harmonie und gegenseitiger Unterstützung in der Natur erklären. Ohne egoistische Altruismus-Gene könne der Darwinismus allein das nicht leisten. Liebe Kritiker: Wäre es nicht um vieles leichter, wenn ihr statt der Wimper im Auge des anderen die Balken vor den eigenen Sehorganen entferntet? Allein eure Bereitschaft, von der Unterstellung eines Gewalt-dominierten Evolutionsmodells Abstand zu nehmen, reichte aus, die Vereinbarkeit von Darwin und natürlicher Harmonie zu erkennen.
Konkurrierende Kooperation oder kooperierende Konkurrenz
Die Beharrlichkeit, mit der die Kritiker die überragende Bedeutung einer über alle Artgrenzen hinaus gehenden Kooperation, von Symbiosen und idyllischem Miteinander herausstellen, ist ja schön und gut. Aber diese Aussage steht und wirkt doch für sich. Es bedarf keines konstruierten Gegenmodells, das einzig auf der Basis funktioniert, die Evolutionstheorie mit fremden Inhalten (rücksichtsloser Egoismus als Erfolgsgarant) auszustatten. Die Unvereinbarkeit von Harmonie und Konkurrenz ist eine irrige Behauptung und partout keine Konsequenz des Überlebenskampfes. Darwins Prominenz ist aber überaus willkommen, den eigenen Dogmatismus in Szene zu setzen. Da stört es auch nicht, dass man die Inhalte so zurechtbiegt, dass sie als Gegenthese taugen. Dass der Wahrheitsgehalt dabei völlig auf der Strecke bleibt, scheint nicht zu interessieren. Ein komplett verfälschter Darwinismus wird zur eigenen Vorteilsnahme instrumentalisiert. Und das ist dann kein Egoismus?
Das wirklich Verhängnisvolle an dem gesamten Kritiker-Konstrukt sind ja nicht die
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