Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand
Zelle erst „erfunden“ war und ihre Eignung unter Beweis gestellt hatte, nahm die weitere Entwicklung von dieser komplexeren Struktur aus ihren weiteren Gang. Anderes, was nicht mithalten konnte, wurde sukzessive aussortiert. Dann entstanden Vielzeller mit immer besser ineinandergreifenden Stoffwechselsystemen, und nach einigen Jahrmilliarden ein zweibeiniges Wesen, das sich jetzt über diese Mechanismen Gedanken macht.
Entwicklung auf mehr oder weniger puren Zufall zu reduzieren, bedeutet völlige Ignoranz einer qualitätssteigernden Wirkung der Selektion, die dafür sorgt, das immer hochwertigere Ausgangsmaterialien in das mutativ/rekombinante Experimentierfeld, in die Versuchsküche der Natur, eingeschleust werden. Varietätenproduktion und Qualitätsprüfung sind hier zwei autonom arbeitende Instanzen, die einander zuarbeiten, ohne in direkter Wechselwirkung zu stehen.
Fehler 2: Die Selektion ist wie beschrieben kein „Only-Supertype-Filter“, der nur die optimale Rosine herauspickt. Auch weniger günstige Alternativen dürfen überleben, wenn sie die Fitness ihrer Träger auch nur geringfügig verbessern. Darwin hat das wiederholt betont. Allzu puristische Rationalisten neigen vorschnell dazu, alles zum überflüssigen Beiwerk zu degradieren, deren Nutzen sich ihnen nicht auf den ersten Blick erschließt. Da solche Naturen offensichtlich auch zum Kreis der Kritiker zählen, versucht man die fehlende Rigorosität des Selektionsprozesses gern auch für den Anti-Darwin-Einsatz zu instrumentalisieren.
Fehler 3: Die Bindung an sein selbst erschaffenes Wertesystem verstellt dem Menschen einen unvoreingenommenen Blick in die Natur. Unsere felsenfeste Überzeugung, alles verstehen und genau definieren zu können, was nütz und was unnütz ist, trügt, weil sie nur auf unser eigenes Wohlergehen bezogen ist. „Gut“ für den Menschen ist nicht gleich „gut“ für den Rest der Natur. Manch ein Nutzen bleibt uns sicher verborgen, ist von unseren auf das eigene Ego fixierten Gehirnen nicht erkennbar. Etwas mehr selbstkritische Bescheidenheit ist hier vonnöten. Auch wenn wir momentan vielleicht die höchst entwickelte Kreatur auf unserem Planeten repräsentieren, der Grad unserer Beschränkung dürfte um einige Dimensionen größer sein, als unsere intellektuelle Eitelkeit es wahrhaben möchte. Ein gesundes Selbstbewusstsein ist sicher kein Fehler, Selbstüberschätzung dagegen sehr wohl. Mit der Einstellung, unser Homo-zentrisches Wertesystem der gesamten Natur aufpfropfen zu wollen, kommen wir nicht weit. Wir glauben zum Beispiel, eine Tarnung habe prinzipiell möglichst optimal zu erfolgen, um dem Träger größtmöglichen Schutz zu gewähren. Soweit richtig, aber nur aus der Sicht des Imitators gedacht. So wären die frühen in Nadelgehölzen beheimateten Gespensterschrecken mit einer Tarnung als „Wandelnde Nadel“ höchst wahrscheinlich noch besser vor Fressfeinden geschützt gewesen als durch ihr blättriges Outfit. Aber mit Blick auf das gesamte Ökosystem gab es vielleicht gute Gründe, es bei der suboptimalen Tarnung der Schrecken zu belassen. Möglicherweise hätte eine perfekte Tarnung zu einer Übervölkerungsproblematik, einer Schreckenplage geführt oder stabile Nahrungsketten wären aus dem Gleichgewicht geraten, da die Schreckenräuber die „
Wandelnden Nadeln
“ nicht mehr als Futter erkannt hätten und verhungert wären. Dies sind nur zwei denkbare Gründe, weshalb sich in dieser Phase der Evolution der Gespensterschrecken Mutationen in Richtung Nadelform – falls es solche überhaupt gegeben haben sollte, nicht durchgesetzt haben. Einige Millionen Jahre später, als Laubwälder die irdische Bühne betreten hatten, war die Situation im Ökosystem vielleicht eine andere. Denkbar, dass die Schreckenräuber nun zu fortpflanzungsaktiv waren und sich jetzt die optimale Tarnung der „
Wandelnden Blätter
“ als effizientes Gegenmittel bewährte, das die Stabilität der Nahrungskette garantierte und daher von der Selektion honoriert wurde. Natürlich befinden wir uns hier tief im Bereich der Spekulation. Ob es wirklich so war, wissen wir nicht. Aber diese imaginären Szenarien sollen lediglich verdeutlichen, dass der Mensch sich äußerst schwer tut, über den Tellerrand seines Wertesystems hinauszublicken. Wir müssen akzeptieren, dass all unseren wissenschaftlichen Bemühungen zum Trotz, der Weitblick hinter die Kulissen der Natur in vielen Bereichen rätselbehaftet bleiben wird, da zum einen
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