Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand
unsere Wahrnehmungsfähigkeit beschränkt ist und wir zum anderen als Teil des von uns begutachteten Systems nie einen neutralen „point of view“ einnehmen können.
Nach diesem doch etwas ausführlicheren Exkurs, der gezeigt hat, dass die Evolution im Sinne Darwins kein auf die Produktion eines finalen Superorganismus ausgerichteter „Play-off-Wettbewerb“ ist, kehren wir direkt zum „Meister“ zurück und stöbern weiter in seinen Originalschriften.
5. Artbildung – geheimnisvoll und unsichtbar : Weder Darwin noch irgendeiner seiner Vor- und Nachfahren ist jemals Augenzeuge einer Artbildung gewesen – nicht in natura und auch nicht in einem modernen Forschungslabor. Die Kritikeraussage ist korrekt. Die Gründe sind aber leicht erklärbar. Zum einen ist Artbildung im evolutionären Maßstab kein Minutenprozess vergleichbar dem Schlüpfen aus einem Ei. Sie vollzieht sich in übermenschlichen Zeitdimensionen. Darwin schreibt im vierten Kapitel der „
Entstehung der Arten“
im Abschnitt „
Natürliche Zuchtwahl oder Überleben der Passendsten“:
„Wir sehen nichts von diesen langsam fortschreitenden Veränderungen, bis die Hand der Zeit auf eine abgelaufene Weltperiode hindeutet, und dann ist unsere Einsicht in die längst verflossenen, geologischen Zeiten so unvollkommen, dass wir nur noch das eine wahrnehmen, dass die Lebensformen jetzt verschieden von dem sind, was sie früher gewesen sind.“ Darwin war sich bewusst, dass er stets die Ergebnisse langwieriger Akkumulationen kleinster vererbbarer Veränderungen zu Gesicht bekam. So schreibt er weiter: „Um irgendeinen beträchtlichen Grad von Modifikation bei einer Spezies hervorzubringen, muss eine einmal aufgetretene Varietät, wenn auch vielleicht erst nach einem langen Zeitraum erneut variieren oder individuelle Verschiedenheit derselben günstigen Art wie früher darbieten, und diese müssen wieder erhalten werden und so Schritt für Schritt weiter.“ An anderer Stelle ( Kapitel 2 ) formuliert er: „Fast jeder Teil eines jeden organischen Wesens steht in einer so schönen Beziehung zu seinen komplizierten Lebensbedingungen, dass es ebenso unwahrscheinlich scheint, dass irgendein Teil auf einmal in seiner ganzen Vollkommenheit erschienen sei, wie dass ein Mensch irgendeine zusammengesetzte Maschine sogleich in vollkommenem Zustand
erfunden habe.“
Als hätte Darwin bereits Kenntnis von jener Schrottplatzmetapher gehabt, mit der spätere Kritikergenerationen ihren absurden Argumenten Nachdruck zu verschaffen hofften. „Schritt für Schritt“, hebt Darwin hervor, und keine evolutionären Sprünge à la Bob Beamon – Natura non facit saltus!
Der zweite wichtige Punkt ist die Taxonomie. Die uns vertraute Einteilung in Familien, Gattungen, Arten und Rassen ist ein von Carl von Linné erdachtes und 1735 als „
Systema Naturae
“ veröffentlichtes rein willkürliches Klassifikationssystem, an das sich die Natur leider nicht gebunden fühlt. Zudem gibt es keine klar definierten Grenzen, welche die Unterscheidung zwischen verschiedenen taxonomischen Einheiten eindeutig machten. Wo endet die Rasse und wo beginnt die neue Art? Wir entscheiden da anhand bestimmter selbst auferlegter Kriterien und sind uns dabei nicht immer einig. In Wahrheit dürften die Übergänge wie so oft fließend sein. Wir dürfen das taxonomische System nicht überbewerten. Es ist von vorn bis hinten „man-made“ und nicht mehr als eine zum Teil recht verzwickte Orientierungshilfe. Für die natürlichen Mechanismen des Formenwandels ist diese Unschärfe aber unbedeutend. Ob ich in Grenzfällen nun von einer Rasse, Unterart oder neuen Spezies spreche, ist doch „Jacke wie Hose“ und letztlich nur menschlicher Ordnungsliebe gezollt. Entscheidend ist, dass langfristig Wandel stattfindet, der ab einem bestimmten Grad der Verschiedenheit sexuelle Wiedervereinigung und damit genetische Vermischung ausschließt.
Natürlich hat auch Darwin zu diesem Abgrenzungsproblem, der begrifflichen Unschärfe taxonomischer Einheiten, Stellung genommen ( Kapitel 2 , „Abänderung im Naturzustand“): „Auch will ich hier nicht die verschiedenen Definitionen erörtern, welche man von dem Wort ‚Spezies‘ gegeben hat. Keine derselben hat bis jetzt alle Naturforscher befriedigt; doch weiß jeder Naturforscher ungefähr, was er meint, wenn er von einer Spezies spricht. [...] Der Ausdruck ‚Varietät‘ ist fast ebenso schwer zu definieren: Gemeinsamkeit der Abstammung ist indessen hier
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