Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand
oberflächlichen Rückschluss versucht die Kritikerschaft aus diesem geschlechts- und altersspezifischen Größenunterschied die Unmöglichkeit eines Darwin’ schen Entwicklungsganges abzuleiten. Demnach hätten nämlich die in der Halslänge hinter den Männchen zurückbleibenden Weibchen, zuallererst aber die „lütten“ Jungtiere in Zeiten knappen Nahrungsangebotes ausgemerzt werden müssen. Nur die großen Bullen hätten eine Überlebenschance gehabt. Ohne Jungtiere kein „Nachwachsen“, ohne Weibchen keine Paarung und da sich die Männchen nicht selbst befruchten konnten, wäre ein relativ schnelles Aussterben die Folge gewesen. Damit sind wir schon wieder bei dem immer wieder bemühten Todesszenario. Aber dennoch: Auf den ersten Blick klingt das gar nicht mal so unlogisch, wenn nicht die gesamte Existenzfähigkeit der Giraffe einzig auf die Länge ihres Halses beschränkt würde. Die Evolution nimmt derartige Fokussierungen aber nicht vor, sondern wirkt auf allen Ebenen, welche die Existenz einer Art ausmachen. Die Selektion bewertet immer das „Gesamtkunstwerk“, also das komplette äußere Erscheinungsbild. Beispielhaft soll hier nur die auch mit der Halsverlängerung einhergehende Entwicklung des Sozialverhaltens (auch das unterliegt den Gesetzen der Evolution) beleuchtet werden. So leben Giraffen in nur kleinen Gruppen von maximal 30 Tieren zusammen, darunter aber nur ein oder zwei Bullen. Die können mit ihren langen Hälsen der deutlichen zahlenmäßigen weiblichen und jugendlichen Überlegenheit durch „Nahrungsraub“ wohl kaum den Garaus machen. Hinzu kommt, dass sich Bullen und Kühe in ihrem Fressverhalten unterscheiden. Während sich „Herr Giraff“ mit nach oben gestrecktem Kopf am Baumbuffett bedient, pflegt die Giraffendame mit gesenkter Kopfhaltung zu speisen. Somit können beide sozusagen an verschiedenen Enden derselben Tafel dinieren, ohne sich in die Quere zu kommen, das heißt in direkte Nahrungskonkurrenz zu treten. Die Jungtiere stehen gut 1,5 Jahre unter dem Schutz der Mutter, sodass in dieser Zeit auch für ihr Auskommen gesorgt ist. Der Hungertod ist nicht das Problem. Dass trotzdem nur 25 bis 50 % des Nachwuchses die Geschlechtsreife erreicht, liegt vor allem an ihrer „Opferrolle“. Im Gegensatz zu den höchst wehrfähigen adulten Tieren werden Jungtiere, besonders wenn sie nicht mehr unter der Obhut der Mutter stehen, häufig zur Beute von Raubtieren (Löwen, Leoparden, Hyänen, Wildhunde). Aber bitte, das sind keine „Evolutionskriege“, sondern natürlich entwickelte Nahrungsketten – mag es uns auch grausam vorkommen. Die besonders langen Hälse der Giraffenbullen aber als Faktor für die Nicht-Überlebensfähigkeit von Nachwuchs und Weibchen und damit als Gegenargument für Evolution anzusehen, ist absurd, zumal alle Mitglieder einer Herde davon profitieren. Zum einen entspannt sich die Nahrungssituation, denn durch das höhere Abweiden der Bullen werden mehr Fressebenen erschlossen und in den tieferen Bereichen bleibt mehr für Weibchen und Kälber. Zum anderen kommt auch der dem Halswachstum zu verdankende verbesserte „Panoramablick“ etwa beim Erspähen gefährlicher Raubtiere der gesamten Gruppe zugute. Alles in allem bleibt festzuhalten: Die evolutionäre Halsverlängerung der Steppengiraffen ist 100 % plausibel über einen von Mutation und Selektion getragenen Mechanismus der Langzeitadaptation zu erklären. Das von den Kritikern entworfene Konstrukt der „Selbstvernichtung durch Nahrungsklau“ innerhalb der Gruppe hält keiner fundierten Prüfung stand.
„Natürliche“ versus „sexuelle“ Evolution?
Darwins Theorie sei nicht nur unlogisch, baue nicht allein auf Irrtümern auf, sondern sei auch in höchstem Maße widersprüchlich. Darwingegner nehmen gern das Sexualleben vieler Tierarten ins Visier, insbesondere wenn es mit einem auffälligen Balzverhalten eines oder beider Geschlechtspartner verbunden ist. Das daraus konstruierte Paradoxon lautet wie folgt: Wenn Evolution stets auf Verbesserung der Überlebenschancen abzielt, die Selektion nur die Stärksten herausfiltert und am Leben lässt, wie ließe sich da die Entwicklung auffälligen Balzverhaltens erklären? Ein solch „exhibitionistisches Gehabe“ verringere doch den Schutz vor Feinden. Als Paradebeispiel wird gern die Balz des asiatischen Pfaus herangezogen. Das farbenprächtige Rad des Hahns dürfte doch nicht nur ein Hingucker für seine „Herzensdamen“ sowie humane Zoobesucher
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