Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand
über seine weitere Karriere entscheidet. Das gilt übrigens uneingeschränkt auch für den gesamten Komplex „Sozialverhalten“. Die Selektion begünstigt vielfach kooperative Verhaltensmuster und Gruppen stabilisierende Harmoniemerkmale. Beispiele sind uns allen zur Genüge bekannt. Die Entwicklung effizienter Kommunikationsmöglichkeiten, unsere eigene Sprachentwicklung ist nur ein Beispiel für die selektive Begünstigung eines die Überlebenschancen verbessernden Sozialverhaltens. Das Bild des eiszeitlichen Neandertalertrupps, der erfolgreich ein Mammut erlegt, um die Proteinversorgung und Fellbekleidung der ganzen Gruppe zu sichern, ist jedem geläufig. Ohne die evolutionäre Herausbildung eines wirksamen Kommunikationssystems, das über eine geschickte Rollenverteilung eine strategische Herangehensweise erst möglich macht, wären solche Jagderfolge undenkbar gewesen. Allein auf die Mammutpirsch zu gehen oder den Giganten als chaotische Horde herauszufordern, hätte die Sieger- und Besiegten-Rollen sicher vertauscht. Solche Versuche erfuhren vor dem strengen Auge der Selektion keine Gnade und wurden „schnell“ durch kooperationsfördernde Eigenschaften verdrängt. Wie groß müssen die Scheuklappen der Herren Kritiker eigentlich sein, wenn sie die Gleichung aufstellen: „Darwinismus = Krieg jeder gegen jeden“ oder „survival of the fittest = der grausamste Mörder ist der beste Überlebenskünstler“. Fest steht: Eine Genkombination, die nur auf Feindseligkeit programmiert ist und kooperative Gemeinschaft zu unterdrücken versucht, wird ganz unten auf der Werteskala der Selektion angesiedelt. An dieser Stelle kommt seitens der Kritiker regelmäßig der Verweis auf die Kriege der Menschen. Spätestens im Religionsunterricht in der Grundschule wird regelmäßig die Frage gestellt, wie der liebe Gott Kriege und andere menschliche Grausamkeiten zulassen könne. Eine die Kinder wirklich befriedigende Antwort – die Theodizee genannte „Rechtfertigung Gottes“ – ist bis heute nicht gefunden. Die Darwinkritiker stellen die Frage anders. Warum – hätte Darwin recht – sind die nur Vernichtung bringenden Kriege nicht längst von der Selektion ausgemerzt? Zugegeben – eine der besseren Fragen, aber wiederum auf einem grundlegenden Fehlverständnis fußend. Angesichts der großen Zahl von Mutationen, die über Äonen unzählige Formen hervorgebracht haben, wird natürlich viel „Mist“ – pardon, Negatives – produziert, was aber nicht „stante pede“ selektiv vernichtet wird. Vielmehr erhalten auch diese Genkombinationen ihre Bewährungschance, und zwar in der Regel ein paar Jährchen länger, als sich der Mensch in seinem begrenzten Dimensionsverständnis vorstellen kann. Wir selbst befinden uns, wie jedes andere Lebewesen, seit unserem Erscheinen in einer Bewährungsphase, die nur ein Ende findet, wenn sich unser Ast auf dem Evolutionsbaum als Sackgasse erweist. Aber selbst auf diesem Pfad wird es bis zuletzt „Schlupflöcher“ für einzelne Merkmalskombinationen geben, die neue Verzweigungen hervorbringen und auf eine erfolgreiche evolutionäre Spur führen. Aber das werden sicher keine Gen-Ausstattungen sein, die Disharmonien geschweige denn Kriegsbereitschaft fördern. Auf der anderen Seite ist ein Naturidyll, das einzig Liebe, Schönheit und Ästhetik zulässt, kein entwicklungsfähiges System. Wie gesagt ist ein gewisses Maß an Egoismus ebenso essenziell wie zwischenartliche Tötungen, wobei das pflanzliche Leben in seiner Wertigkeit dem tierischen völlig gleichgestellt werden muss. Selbst der strikteste Veganer kann ohne die Vernichtung von Leben nicht existieren. Und da man heute auch in Pflanzen elektrische Potenziale sowie Botenstoffe vergleichbar denen in tierischen Nervensystemen nachweisen kann, dürfen wir ein pflanzliches Schmerzempfinden keineswegs ausschließen. Pflanzen ihrerseits zerstören auch Leben, etwa wenn ihnen beim Wasserkonsum diverse Mikroorganismen zum Opfer fallen. Der oft von uns nur auf unser eigenes irdisches Dasein bezogene Satz „Der Tod gehört zum Leben“ hat sicher eine weitaus globalere Bedeutung für das gesamte Phänomen der vielgestaltigen Koexistenz schlechthin. Wenn die Darwingegner diese das System „Welt“ stabilisierenden Zusammenhänge unbedingt als Kriegsszenario definieren wollen, das im Evolutionsmodell selektiv begünstigt wird, ist das ja noch zu akzeptieren. Wenn dann aber behauptet wird, in diesem Modell sei kein Platz für
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