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Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Titel: Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Graf
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aber Evolution nimmt keine Rücksicht auf menschliche Emotionen. Der Tod eines Individuums rettet hier das Leben von vielen. Der Arterhaltung kommt das zugute, und nur das bewertet die Selektion. So herzlos es in unseren Ohren klingt, aber in der Bilanz ist dies die beste Lösung. Trauer um den Wächter ist evolutionär eine neutrale, um nicht zu sagen bedeutungslose Größe. Ökonomie ist ein wesentlicher Selektionsfaktor – die Gefühle eines Autors, dem diese Zeilen nur schwer aus der Feder fließen, leider nicht.
    Aber drehen wir den Spieß noch einmal um und versetzen uns in die Gedankengänge der Anti-Darwinisten. Demnach offenbart der Wächter keinerlei Egoismus – wie er es in Kritikeraugen als Produkt einer Darwin-Evolution tun müsste –, sondern gibt sein Leben für die Kumpels hin. Aber was, liebe Kritiker, ist eigentlich mit diesen Kameraden? Sobald sie einen Warnschrei vernehmen, scheren sie sich einen Deibel um ihren Schmiere stehenden Retter. Soll der doch selbst sehen, wie er zurechtkommt. Jetzt geht’s nur ums eigene Überleben – also Schotten dicht! Ein Altruist und über hundert Egoisten – wie erklären Sie das, Herr Eichelbeck? Um der Wahrheit gerecht zu werden, darf nicht unerwähnt bleiben, dass genauso wie der altruistische Wächter auch die Geretteten nicht bewusst egoistisch, sondern instinktiv handeln. Der moralische Zeigefinger ist also völlig unangebracht. Der instinktive Überlebenstrieb ist mit einem Egoismus, wie der Mensch ihn (nur für sein eigenes Verhalten) definiert, nicht zu vergleichen. Diese Art (Human)Egoismus ist im Evolutionsmodell keinesfalls das Maß aller Dinge oder der Schlüssel zum Erfolg, die eigenen Gene in möglichst hoher Kopienzahl in die nächste Generation zu tragen. Und daher widerspricht auch der sein Leben zum Wohle der anderen lassende Wächternacktmull keineswegs dem darwinistischen Prinzip der Evolution. Die Population, die Art, profitiert von dieser Ausgestaltung des Sozialverhaltens, und das ist entscheidend.
Aber wo bleibt die Selektion …?
    Dieser von den Kritikern an dieser Stelle ins Rennen gebrachte Einwand zielt auf die Überlebensfähigkeit oder besser gesagt die Bestandsstabilität der Wächterposition im Sozialgefüge der Nacktmulle ab. Der Trieb zu dieser wohl höchsten Form altruistischen Verhaltens, das heißt die ererbte (genetische) Disposition, zum Wohle der Allgemeinheit das eigene Leben hinzugeben, müsste doch relativ schnell aus dem Genpool der Mullpopulation eliminiert werden. Denn eine individuelle Genausstattung, welche die persönlichen Überlebenschancen derart mindert, dürfte von der Selektion wohl kaum positiv bewertet werden. Das Dumas’sche Musketierprinzip „
einer für alle
“ dürfte die Selektion keinesfalls so gnädig stimmen, das sie die selbstzerstörerische Genvariante der Wächtermulle verschont ließe. Auf den ersten Blick mag diese Betrachtungsweise der Kritiker gar nicht so unlogisch erscheinen. Aber sie zeugt von wenig Weitsicht und vor allem unterschlägt sie ein grundlegendes Prinzip: Evolution findet nicht auf Individualebene statt, sondern betrifft immer größere taxonomische Einheiten – Arten (ausgehend von Populationen), Gattungen usw. Nicht umsonst hat Darwin sein Hauptwerk „
Von der Entstehung der Arten
…“ und nicht „Vom Wandel der Individuen“ genannt. Auch wenn es im Wertesystem des Menschen (ein wundersames Wertesystem, wie wir später sehen werden) mit dem Makel der Grausamkeit verbunden ist, interessieren in der Evolution keine Einzelschicksale. Es geht um das Fortkommen, also die Optimierung des Anpassungsgrades (der
Fitness
) der Art. Hier zählt, so hart es klingt, nicht das Leben des Einzelnen. Wenn dessen Opferung die Gruppe voranbringt, ist die Bilanz in selektionärer Sichtweise positiv. Aber: Wir befinden uns hier beim Todeskampf des Wächtermulls mit der Natter, mitten in einer Nahrungskette. Keine Schlange tötet aus verwerflichen Motiven, sondern einzig zur Nahrungsbeschaffung. Dies hat nichts mit einem machtmissbräuchlichen Kriegsszenario zu tun, aus dem sich der Schluss ziehen ließe, das Evolutionsmodell erhebe Mord zum erfolgversprechenden Fitnessfaktor. Ein schlimmer, ganz und gar unverzeihlicher Fehler wäre es, aus solchen Räuber-Beute-Beziehungen auch nur das kleinste bisschen Rechtfertigung für irgendeinen menschlichen Mord oder jedwede kriegerische Handlung abzuleiten. Dabei spielen einzig humane Machtanomalitäten eine Rolle. Mit biologischer

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