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Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Titel: Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Graf
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sodass sich insgesamt 14 spezialisierte Finkenarten herausbildeten. In der Evolutionsbiologie spricht man von adaptiver Radiation (lat.
adaptare
– anpassen;
radiare
– strahlen). Eine Stammart fächert sich durch spezifische Anpassung an verschiedene Umweltbedingungen in stärker spezialisierte Arten auf, die neue ökologische Nischen besetzen und nicht mehr untereinander fortpflanzungsfähig sind.
    Wie gesagt soll der Artbildungsprozess via adaptiver Radiation im Falle der Galapagos-Finken mehrere Millionen Jahre gedauert haben, hätte also von einem intelligenten Wesen mit der Lebensdauer eines Menschen (der ja selbst erst viel später die Erdenbühne betrat) nie „live“ miterlebt werden können. Aber das Ergebnis stand Darwin in leuchtenden Farben vor Augen, als ihn seine Reise auf der Beagle nach Galapagos führte. Dass es ihm aufgrund seiner menschlichen Daseinsweise und der daran geknüpften humanen Lebensspanne nicht vergönnt sein würde, einer Artneubildung unmittelbar als Zuschauer beizuwohnen, war er sich voll bewusst. So schrieb er in einem privaten Brief an einen seiner Enkel: „Ich glaube an das Wirken der natürlichen Selektion, nicht, weil ich in einem speziellen Fall belegen kann, wie sich eine Art in eine andere verwandelt, sondern weil das […] eine Erklärung für viele in der […] Embryologie, Morphologie […] und Geologie gewonnene Fakten liefert.“ Aus heutiger Sicht können wir diese Aussage noch um einige moderne molekularwissenschaftliche Disziplinen erweitern.
    Insgesamt aber erscheint es vor diesem Hintergrund wahrlich absurd, die fehlende Möglichkeit, unmittelbarer Zeuge einer Artneubildung aus einer Stammform zu werden, als Indiz für das Nicht-Stattfinden von Evolution zu werten. Selbst einem neugierigen humanen Beobachter, dem ein Erdendasein von der Lebensdauer des biblischen Methusalem 8 gegeben wäre, fehlten dazu mindestens einige Jahrtausende an individueller Lebenszeit. Wenn man Darwin überhaupt einen Irrtum vorhalten möchte, könnte der allenfalls die Zeitspanne betreffen, die ein Prozess der Artwandlung benötigt. Diese Erkenntnis zeichnet sich allerdings erst durch aktuelle Forschungsergebnisse ab. Entgegen Darwins Einschätzung, dass sich ein erkennbarer Wandel stets über unvorstellbar lange Zeiträume, d. h. über Hunderttausende oder gar Millionen von Jahren vollzieht, haben heutige Evolutionsbiologen „in freier Wildbahn“ ökologische Systeme entdeckt, in denen sich Selektionsprozesse direkt verfolgen lassen. Die daraus zu ziehenden Schlüsse sind äußerst beachtenswert. Deutet doch alles darauf hin, dass es für evolutiven Artwandel keineswegs unbedingt ganzer erdgeschichtlicher Epochen bedarf. Ein sehr anschauliches Beispiel für eine zumindest teilweise hohe Evolutionsgeschwindigkeit bilden die Süßwasser-Buntbarsche (Familie: Cichlidae) in mittelamerikanischen und vor allem den großen ostafrikanischen Seen (Victoria-, Tanganjika- und Malawisee). Vor 100 000 Jahren herrschte hier eine extreme Dürre, die die Seen bis auf einige zerstreut liegende Tümpel austrocknen ließ. Die meisten Fische wurden durch diese Klimakatastrophe ausgerottet. Aber ein paar Exemplare in jedem der Tümpel überstanden die Sache unbeschadet. Durch die geografische Trennung – vergleichbar derjenigen der Galapagosfinken – nahm nun in jedem der Miniseen, die Evolution einen neuen Anlauf und natürlich lief sie nicht überall gleich. Als einige Jahrtausende später durch ergiebige Regenzeiten die „Pfützen“ wieder zu riesigen Seen vereinigt wurden, zeigte sich, dass infolge divergenter Entwicklungen aus der ursprünglichen Buntbarschstammart nicht mehr untereinander fortpflanzungsfähige neue Arten entstanden waren. In jedem der Tümpel waren andere zufällige Mutationen und Rekombinationen aufgetreten. Demzufolge wurden andere Merkmalsausprägungen selektiert, unterschiedliche ökologische Nischen geschaffen. Möglicherweise differierten auch die Milieubedingungen, sodass die Selektionsdrücke nicht identisch waren. In jedem Teich schlug die Evolution ihren eigenen Weg ein, verzweigte den Stammbaum der Buntbarsche so weit, dass nach der geografischen Wiedervereinigung eine genetische Vermischung nicht mehr möglich war. Dieses Beispiel zeigt sehr anschaulich, wie Evolution funktioniert, welchen Einfluss zufällige DNA-Veränderungen und umweltabhängige Selektion nehmen und wie eine geografische Isolation zum wichtigen Evolutionsfaktor avanciert.
    Die

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