Darwin und die Götter der Scheibenwelt
einfach anerkannte wissenschaftliche ›Tatsachen‹ sind.
Nun ja, eigentlich keine ›Tatsachen‹, sondern Theorien.
Wir suchen nach Theorien, weil sie die Tatsachen organisieren. Gemäß den Philosophen der Rundwelt tun wir das, weil wir in Wahrheit Pan narrans sind, der Geschichten erzählende Affe, und nicht Homo sapiens , der weise Mensch. Wir erfinden unsere eigenen Geschichten, um uns durchs Leben zu bringen. Darum sind wir nicht verlässlich, wenn wir ›Tatsachen‹ für wissenschaftliche Zwecke sammeln. Sogar die besten Wissenschaftler – erst recht die bezahlten Hilfskräfte und die angestellten Studenten – sind derart voll von dem, was sie finden wollen , dass das, was sie finden, unmöglich enger mit der wirklichen Welt zusammenhängen kann als mit ihren eigenen Vorurteilen, Vorlieben und Wünschen. Wir alle haben jedoch in der Schule gehört, dass »die Tatsachen der Wissenschaft verlässlich sind«, dass ihre Theorien aber – und erst recht ihre Arbeitshypothesen – ständiger Kritik und daher ständiger Veränderung unterworfen waren und sind. Man hat uns erklärt, dass Einstein an die Stelle Newtons getreten sei, Darwin an die von Lamarck, Skinner an die von Freud … Man hat uns also gesagt, Theorien würden immerfort durch neue ersetzt, die Beobachtungen indes, auf denen sie beruhen, seien verlässlich.
Das Gegenteil ist wahr.
Kein Lehrer hat darauf hingewiesen, dass viele, vielleicht die meisten Grundannahmen unserer Gedankenwelt wissenschaftliche Theorien sind, die die Kritik unbeschadet überstanden haben – vom Ort der Erde und der Sonne in der Milchstraßen-Galaxis über die Befruchtungstheorie der menschlichen Empfängnis, die subatomare Physik der Herstellung von Atombomben … bis zum Ohmschen Gesetz und dem elektrischen Stromnetz, zu den medizinischen Tricks wie der Erregertheorie der Krankheit und die ganze Strecke bis zu Röntgenstrahlen und Magnetresonanz-Tomografen, ganz zu schweigen von chemischen Theorien, die uns verlässlich mit Nylon, Polyäthylen und Waschmitteln versorgt haben. Diese Theorien bleiben unbemerkt, weil sie selbstverständlich geworden sind, derart vollständig als ›wahr‹ anerkannt, dass wir sie nicht mehr emotional einfärben können und einfach in unseren gedanklichen Werkzeugkasten einordnen. Obwohl kein Lehrer darauf hingewiesen hat, dass sie wissenschaftlich erfolgreich waren, bilden sie einen Großteil der (leider, aber unvermeidlich) weniger begeisternden Bereiche der Schulwissenschaft.
An solche grundlegenden Überzeugungen knüpfen wir derart glitzerndes Fleisch wie Flüge zum Mars, neue Fruchtbarkeitstechniken wie ICSI* [* Intrazytoplasmatische Spermieninjektion.], Fusionsenergie, neue Bakterizide für Küchenoberflächen – und für eine Minderheit der phantasiebegabteren Kinder die weitläufigen und wunderbaren Welten der Science Fiction.
Die Theorien der Wissenschaft, insbesondere die total anerkannten wie Empfängnis mit Sperma und Ei, Polyäthylen und die um die Sonne kreisende Erde, sind also gute, verlässliche Wissenschaft. Sie werden fortwährend an der Wirklichkeit erprobt, wenn Babys in Fruchtbarkeitskliniken gezeugt werden, wenn Leute den Abwasch erledigen oder wenn Astronauten die Erde in Sonnenlicht und Schatten umrunden. Eine gewaltige Menge der Rundwelt-Wissenschaft ist in unseren Alltag eingebettet, und größtenteils ist sie verlässlich.
Aber es gibt auch eine Menge Wissenschaft, die für fast jedermann unverständlich ist und die vorgibt, die Antwort auf fast alle technischen oder philosophischen Fragen zu sein, und von der die Fachleute leben. Die Quantentheorie ist der klassische Fall, die Relativitätstheorie ist eine Spur besser zugänglich, aber die Physik der Elementarteilchen und der Großteil von Medizin, Luftfahrt und Automobilbau, Bodenchemie und Biologie, Statistik und die höheren Sphären der Ökonomie sind allesamt Gegenstände, die nahezu jeder gern den Fachleuten überlässt. Die Mathematik hat eine seltsame Stellung, weil bei ihr ein Zug ähnlich den Offenbarungsreligionen hinzukommt – hauptsächlich, weil sie von der Schulzeit an als eine obskure Kunst dargestellt wird, deren Adepten die einzigen Menschen sind, die Zugang zu platonischen Wahrheiten haben.
Dann gibt es die Quasi* [* Sprich: verquasten.]-Wissenschaften wie Astrologie, Homöopathie, Reflexologie und Iridologie, die einfach nicht funktionieren können. Sie müssen scharf abgegrenzt werden gegen ungewöhnliche, oft sehr alte
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