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Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia Kostenlos Bücher Online Lesen
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Decke übers Kinn. »Ich werde immer wach, wenn sie kämpfen.«
    »Wenn wer kämpft, Lily?«
    »Tante Alice und Onkel Jered.«
    Caroline wollte es nicht glauben. Lily musste andere Stimmen hören, von der Straße vielleicht.
    Doch Lilys Zimmerchen hatte nicht mehr als ein Guckloch, das auf ein Seitengässchen ging und nicht auf die geschäftige Marktstraße. Es war tatsächlich eine ausgebaute Abstellkammer im hinteren Flur; Jered hatte daraus ein winziges aber gemütliches Schlafzimmer für seine Nichte gemacht. Genug Platz für ein Mädchen, seinen Teddy und seine Mutter, die ein Weilchen sitzenblieb und vorlas.
    Doch das Zimmerchen teilte sich eine Wand mit dem Schlafzimmer von Jered und Alice, und diese Wände waren nicht besonders dick. Stritten Jered und Alice zu später Stunde, wenn sie sich allein wähnten? Die beiden schienen ganz glücklich zu sein… ein bisschen reserviert vielleicht, jeder in seiner eigenen Welt, wie es bei älteren Paaren keine Seltenheit war, aber zufrieden eben. Sie konnten sich noch nicht lange so streiten oder Lily hätte sich beklagt oder zumindest Symptome gezeigt.
    Die Streiterei musste begonnen haben, nachdem Colin Watson hier angekommen war.
    Caroline riet Lily, die Stimmen einfach zu überhören. Tante Alice und Onkel Jered seien nicht wirklich böse miteinander, sie hätten nur Meinungsverschiedenheiten. Sie würden einander wirklich sehr lieb haben. Lily schien das zu akzeptieren, nickte und schloss die Augen. Im Laufe der nächsten Tage besserte sich ihr Verhalten ein wenig, obwohl sie ihrem Onkel nach wie vor aus dem Weg ging. Caroline verdrängte die Sache, und dachte nicht mehr daran bis zu jener Nacht, da ihr über einem Kapitel von ›Dorothy‹ die Augen zufielen und sie irgendwann nach Mitternacht verkrampft und mit Gliederschmerzen neben Lily aufwachte.
    Jered war außer Haus gewesen. Das Türgeräusch hatte sie aufgeweckt. Lieutenant Watson war mit von der Partie gewesen; Jered sagte etwas, das sie nicht verstehen konnte, bevor sich der Lieutenant nach hinten in den Laden zurückzog. Dann erreichten Jereds schwere Tritte den Flur und Caroline zog aus einem unerfindlichen Grund Lilys Türe ins Schloss.
    Es war schon absurd, in dieser lichtlosen und mehr als klaustrophobischen Enge hellwach in Nachthemd und Schneidersitz zu hocken. Lilys regelmäßiger Atem, sanft wie ein Seufzer. Jered polterte den Flur hinunter, gefolgt von einer gewaltigen Fahne aus Tabakrauch und Bier.
    Jetzt hörte Caroline, wie Alice ihn begrüßte, die leise Stimme war fast so tief wie eine Männerstimme und Jereds Stimme war ganz Brustkorb und Bauch. Erst konnte Caroline nichts verstehen und dann auch nicht mehr als den einen oder anderen Satzfetzen, auch dann nicht, als die Stimmen lauter wurden. Aber was sie aufschnappte, war bedrückend.
    … weiß nicht, wie du da reingeraten bist… (Stimme von Alice)
    …tue meine gottverdammte Pflicht… (Jered)
    Dann wachte Lily auf und brauchte Trost, und Caroline streichelte das goldblonde Köpfchen und beschwichtigte sie.
    …es könnte ihn das Leben kosten…
    … nichts dergleichen!
    … Carolines Mann! Lilys Vater!
    … ich stelle nicht die Weichen… hab ich nie… werd ich nie…
    Und dann urplötzlich verstummten die Stimmen. Sie malte sich aus, wie Jered und Alice ihr großes Bett in Territorien einteilten, mit Schultern und Hüften Grenzen markierten, so wie sie und Guilford es manchmal taten, wenn sie gestritten hatten.
    Sie wissen etwas, überlegte sie. Und es hat mit Guilford zu tun, und sie wollen es mir nicht sagen.
    Etwas Schlimmes. Etwas Schreckliches.
    Aber sie war zu müde, zu bestürzt, um sich einen Reim zu machen. Sie gab Lily das übliche Küsschen und zog sich in ihr Zimmer zurück, wo das Fenster offenstand und die Gardinen tändelten und die Brise das eigenartige Parfüm der englischen Nacht ins Zimmer trug. Sie glaubte, nicht schlafen zu können, und sie schlief trotzdem; sie wollte nicht träumen und träumte unzusammenhängend von Jered, von Alice und von dem jungen Lieutenant mit dem melancholischen Blick.

 
Kapitel Zehn
     
     
     
    Der Sommer des Jahres 1920 war ein kalter Sommer, zumindest in Washington. Die Leute gaben den russischen Vulkanen die Schuld, der feuerspeienden Linie geologischer Störungen, die das Wunder im Osten begrenzte. Glaubte man den Flüchtlingen, die Wladiwostok vor den japanischen Unruhen verließen, brachen diese Vulkane seit 1912 sporadisch aus. Gebt den Vulkanen die Schuld, dachte Elias

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