Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Vale, oder den Sonnenflecken, Gott oder den Göttern – es läuft alles auf das Gleiche hinaus. Er war einfach nur froh, aus dem tristen Regen heraus- und in die noch tristere Main Hall des National Museum zu kommen, die gegenwärtig renoviert wurde – eine Arbeit, die man 1915 und dann jedes Jahr hinausgeschoben hatte, für die Eugene Randall aber schließlich Bundesmittel herausgekitzelt hatte.
    Randall entpuppte sich als Administrator, der seine Arbeit ernst nahm, als Flegel übelster Sorte also. Und als einsamer Mann, der seine Laster zufriedenstellte. Er hatte darauf bestanden, Vale ins Museum zu bringen, ganz so wie Mütter darauf bestehen, ihre Säuglinge zu zeigen: Man rechnet mit Bewunderung, und bliebe sie aus, wäre man beleidigt.
    Ich bin nicht dein Freund, dachte Vale. Demütige dich nicht selbst.
    »So viel ist immer und immer wieder hinausgeschoben worden«, hörte er Randall sagen. »Aber dann geht es auf einmal doch voran. Nicht was uns fehlt, ist das Problem, sondern was wir haben – das schiere Volumen der Sache – wie wenn man packen will und der Schrankkoffer erweist sich als zu klein. Walskelette in die Südhalle, zweiter Stock, Westflügel, und das bedeutet, wirbellose Meeresbewohner in die Nordhalle, was bedeutet, die Bildergalerie muss vergrößert werden, die Main Hall renoviert…«
    Vale starrte verdutzt auf das Gerüst, die Zeltbahnen, die den marmorierten Boden schützten. Heute war Sonntag. Die Arbeiter waren zu Hause. Das Museum war düster wie eine Leichenhalle, der zu besichtigende Leichnam war der Mensch und seine Werke. Regen verschlierte die bleigefaßten Fenster.
    »Nicht dass wir reich wären.« Randall führte ihn eine Treppe hinauf. »Es gab eine Zeit, da kamen wir aus mit dem Geld – damals –, aber heute? Hinterlassenschaften so groß wie Fliegenschisse. Das Vermögen ist nur noch ein Schatten seiner selbst, nur noch ein paar lächerliche Erbschaften, nutzlose Eisenbahnobligationen, ein dünnes Rinnsal an Zinsen. Was uns bleibt, sind Bewilligungen durch den Kongress, und der ist zurückhaltend seit dem Wunder, obschon man für die Reparaturen aufkommt, für die Stahlregale in der Bücherei…«
    »Und die Finch-Expedition«, sagte Vale, wobei er einer inneren Eingebung folgte, die womöglich von seiner Gottheit kam.
    »Ja richtig, und so wie die Dinge liegen, bete ich, dass ihnen nichts zustößt. Wir haben sechs Kongressmitglieder im Aufsichtsrat, aber ich bezweifle, ob wir politisch d’accord sind, wenn es um die Englische Frage oder die Japanische geht. Mag sein, dass ich Mr. Cabot Lodge unrecht tue.«
    Seit Wochen hatte Vales Gottheit ihren Probanden mehr oder weniger in Frieden gelassen, und das war gut so: Vale hatte sich auf simple, menschliche Belange konzentrieren können, seine ›Schwächen‹, zu denen er Trinken und Huren zählte. Nun sah es so aus, als sei die göttliche Aufmerksamkeit wieder einmal provoziert worden. Er spürte ihre Gegenwart im Bauch. Aber warum gerade jetzt? Warum in diesem Gebäude? Warum Eugene Randall?
    Genauso gut hätte er sich fragen können: Warum eine Gottheit? Warum ausgerechnet ich? Wenn etwas mysteriös war, dann das.
    Auf ins Labyrinth, zu Randalls eichenvertäfeltem Büro, wo es sicher Zeitungen zu lesen gab, eine Haltestelle zwischen dem jüngsten Nachmittagssalon bei Mrs. Sanders-Moss und einer Seance am Abend, letztere absolut vertraulich, so vertraulich wie der Termin mit einem Engelmacher.
    »Ich weiß, es gibt Spannungen mit den Engländern, es geht um die Bewaffnung der Partisanen. Ich hoffe inbrünstig, dass Finch nichts zustößt, so unsympathisch er sein mag. Sehen Sie, Elias, es gibt religiöse Splittergruppen, die wollen, dass Amerika sich total aus dem Neuen Europa heraushält, und die haben keine Scheu, sich schriftlich an den Bewilligungsausschuss zu wenden… Ah, da sind wir ja.« Er zog die gelbbräunliche Akte aus dem Schreibtisch. »Mehr brauche ich nicht. Nun aber ab in die Unendlichkeit… nein, darüber macht man keine Witze.« Scheu: »Ich will ihnen ja nicht zu nahe treten, Elias, aber ich komme mir vor wie ein Narr, wirklich.«
    »Ich kann Sie beruhigen, Dr. Randall, Sie sind kein Narr.«
    »Verzeihen Sie, wenn ich skeptisch bin. Noch jedenfalls. Ich…« Er hielt inne. »Elias, Sie sehen blass aus. Ist Ihnen nicht gut?«
    »Ich brauche…«
    »Was?«
    »Etwas Luft.«
    »Na ja, ich – Elias?«
    Vale verließ fluchtartig den Raum.
     

     
    Er floh, weil seine Gottheit sich erhob, und es sah böse

Weitere Kostenlose Bücher