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Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia Kostenlos Bücher Online Lesen
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ich.
    Schockierende Worte. Guilford spürt die unsägliche Bürde der Verantwortung. Sie ist schwer wie der Mond. Ich begreife nichts von alledem!
    Geduld, kleiner Bruder, sagt der Soldat und trägt ihn durch das unheimliche Licht nach oben, durch den Nebel und die Hitze der vereitelten Fleischwerdung, wie ein Engel in der abgerissenen Uniform der US-Army, und dann löst er sich in Luft auf.
     

     
    Tom Compton stand über ihm, in der Hand eine brennende Fackel.
    Ich würde ja aufstehen, sagte sich Guilford, wenn ich nur könnte. Wenn es hier nicht so kalt wäre. Wenn sein Körper nicht überall so steif wäre. Wenn er seine wirren Gedanken ordnen könnte. Er hatte etwas verdammt Wichtiges zu sagen – es betraf Dr. Sullivan.
    »Er ist gestorben«, sagte Guilford. Das war es. Die Leiche lag neben ihm, zugedeckt. Das Gesicht guckte heraus, lag bleich und reglos im Schein der Fackel. »Tut mir Leid, Tom.«
    »Ich weiß«, sagte Tom. »Es war gut, dass Sie bei ihm waren. Können Sie gehen?«
    Guilford versuchte auf die Füße zu kommen. Mit dem Erfolg, dass er sich die Hüfte an einer Steinkante schlug.
    »Ich stütze Sie«, sagte der Grenzer.
    Schon wieder fühlte er sich getragen.
     

     
    Guilford kämpfte mit bleierner Müdigkeit. Der taube Körper wollte nichts weiter als die Augen schließen und ausruhen. »Wir machen ein ordentliches Feuer, wenn wir aus dem Loch sind«, ermunterte ihn der Grenzer. »Treten Sie fester auf.«
    »Wie lange hat es gedauert?«
    »Drei Tage.«
    »Drei?«
    »Es gab Probleme.«
    »Wer ist mitgekommen?«
    Sie hatten den Rand des Schachts erreicht. Das Innere der Kuppel schwamm in wässrigem Tageslicht. Eine ausgemergelte Gestalt saß mit hängenden Schultern an eine Steinplatte gelehnt, die Segeltuchkapuze ins Gesicht gezogen. Der Dunstschleier verwischte die Züge.
    »Finch«, sagte Tom. »Finch ist mitgekommen.«
    »Finch? Wieso Finch? Was ist mit Keck und mit Robertson?«
    »Sie sind tot, Guilford. Keck, Robertson, Diggs, Donner und Farr. Alle tot. Und uns blüht dasselbe, wenn Sie nicht in Bewegung bleiben.«
    Guilford stöhnte und schlug die Hand vor die Augen.

 
Kapitel Neunzehn
     
     
     
    London wurde vom Frühling überrascht. Das auftauende Sumpfland im Osten und Westen verlieh der Luft einen erdigen Geruch. Die Thames Street, frisch gepflastert von den Docks bis zum Tower Hill, rasselte vor Geschäftigkeit. Im Westen wurde schon wieder an der Kuppel der neuen St. Paul’s Cathedral gearbeitet.
    Caroline wich einer Schafherde aus, die zum Markt getrieben wurde; sie hatte selbst das Gefühl, auf dem Weg zur Schlachtbank zu sein. Seit Wochen hatte sie jeden Kontakt mit Colin Watson vermieden, seine Einladungen abgelehnt und nicht einmal seine Briefchen gelesen. Sie wusste selbst nicht, warum sie jetzt zur Candlewick Street ging, um ihn in dieser Imbissstube zu treffen – vielleicht weil sie das Gefühl nicht loswurde, ihm etwas zu schulden, und wenn es nur eine Erklärung war. Sie konnte doch nicht sang- und klanglos nach Amerika abreisen.
    Und außerdem war er Soldat. Er gehorchte Befehlen. Er war nicht Lord Kitchener; er war auch nicht die Royal Navy. Er war nur ein winziges Rädchen im Getriebe.
    Sie kannte die Imbissstube nur zu gut. Fachwerk im Tudor-Stil. Bleiverglaste Fenster mit Rinnsalen aus Kondenswasser. Der riesige, silberne Samovar dampfte. Die Gäste waren grobgestrickt, Arbeiterklasse, hauptsächlich Männer. Caroline ließ den Blick über ein Meer aus Wollmützen schweifen, bis sie Colin an einem rückwärtigen Tisch entdeckte, den Mantelkragen hochgestellt, das lange Gesicht voll banger Erwartung.
    »Na ja«, sagte er. »Da sind wir ja wieder.« Er hob die Tasse wie zu einem Prost.
    Caroline wollte jetzt keinen Streit. Sie setzte sich und kam sofort zur Sache. »Du sollst wissen, dass ich wieder nach Hause fahre.«
    »Du bist doch eben erst gekommen?«
    »Nach Boston, meine ich.«
    »Boston! Wolltest du mich deshalb nicht sehen?«
    »Nein.«
    »Willst du mir nicht wenigstens verraten, warum du abreist?« Er senkte die Stimme und sperrte die blauen Augen weit auf. »Caroline, bitte. Ich weiß, ich muss dich verletzt haben. Ich weiß nicht, wann und womit, aber wenn du willst, dass ich mich entschuldige, dann entschuldige ich mich.«
    Es fiel ihr schwerer, als sie gedacht hatte. Er war ratlos und sichtlich zerknirscht. Sie biss sich auf die Lippe.
    »Deine Tante ist dahintergekommen, ist es das?«
    Caroline schlug die Augen nieder. »Das bestgehütete

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