Darwinia
die absurden Abenteuerstreifen über Darwinia, die Hollywood am laufenden Band produzierte. Und all die weniger geschmackvollen Annehmlichkeiten wie Bars, Rauchersalons und sogar ein Bordell draußen an der Follet Road gleich hinter der Kiesgrube.
Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte in Fayetteville jeder jeden gekannt. Heutzutage musste man auf den Straßen mit lauter fremden Gesichtern vorliebnehmen.
Obwohl die vertrauten Gesichter häufig beunruhigender waren.
Guilford hatte neulich ein vertrautes Gesicht gesehen.
Es hielt Schritt mit ihm, wenn er auf den hügeligen Landstraßen spazierenging. Den ganzen Frühling über hatte es sich immer mal wieder gezeigt: hatte aus einem Weizenfeld gestarrt oder hatte sich im Küstennebel verloren.
Die Gestalt trug eine zerlumpte und altmodische Uniform. Das Gesicht sah aus wie seines. Es war sein Doppelgänger: der Geist, der Soldat, der Wachsoldat.
Nicholas Law, der mit seinen zwölf Jahren ganz versessen war, auch den letzten Rest der Sommersonne auszunutzen, entschuldigte sich und sauste zur Tür hinaus. Das Fliegengitter rasselte hinter ihm ins Schloss. Durchs Fenster konnte Guilford ihn gerade noch sehen, nicht mehr als eine gestreifte Strickjacke, die vor dem Himmel, der Landspitze und dem abendblauen Meer bergab fegte.
Abby kam aus der Küche, wo sie den Nachtisch aus dem Kühlschrank genommen hatte. Etwas mit Eiscreme. Eiscreme aus dem Laden, für Guilford immer noch etwas gänzlich Neues.
Sie hielt inne, als sie den leeren Platz sah. »Er konnte wohl nicht auf den Nachtisch warten?«
»Sieht so aus.« Baseball bei Abendlicht, dachte Guilford. Der große Rasenplatz vor der Fayette-Schule. Er empfand plötzlich so etwas wie Heimweh.
»Hast du auch keine Lust mehr?«
Sie trug zwei kleine Teller. »Ich probier mal«, sagte er.
Sie setzte sich vis-à-vis, ihr gutmütiges Gesicht bekam einen skeptischen Zug. »Du hast abgenommen«, sagte sie.
»Ein bisschen. Muss nichts heißen.«
»Du bist zu oft allein unterwegs.« Sie kostete von der Eiscreme. Guilford bemerkte vereinzelte silbrige Fäden an den Schläfen. »Heute war ein Mann hier.«
»Aha?«
»Ob das hier das Haus von Guilford Law wär, wollte er wissen. Ich habe ja gesagt, und er wollte wissen, ob du der Photograph mit dem Laden in der Spring Street wärst. Ich habe ja gesagt, und dass er dich dort erreichen könnte.« Ihr Löffel schwebte über dem Dessert. »War das richtig?«
»Goldrichtig.«
»War er im Laden?«
»Vielleicht. Wie sah der Gentleman aus?«
»Dunkel. Er hat so merkwürdig geguckt.«
»Merkwürdig? Wie meinst du das?«
»Einfach nur merkwürdig.«
Die Geschichte mit dem Fremden an der Tür und Abby, die ihm aufgemacht hatte, warf ihn aus der Bahn. »Mach dir keine Gedanken.«
»Ich mach mir keine Gedanken«, sagte Abby bedächtig. »Es sei denn, du machst dir welche.«
Lügen wollte er nicht. Es war schwer, ihr etwas vorzumachen. Also schüttelte er nur den Kopf. Sie wollte wissen, was nicht stimmte, und ihm fehlten die Worte.
Er hatte nie darüber gesprochen… zu niemandem. Außer in diesem lange zurückliegenden Brief an Caroline.
Immerhin war der Mann an der Haustür nicht sein Doppelgänger. Man vergisst, dachte er, nach so vielen Jahren. Wenn eine Erinnerung so abwegig ist, so aus dem Rahmen des rauen Alltags fällt, dann kommt sie einem einfach abhanden… oder sie tickt wie die Erbse in einer Trillerpfeife unterschwellig vor sich hin. Bis man mit der Nase darauf gestoßen wird. Dann kommt sie wieder ans Licht der Sonne, frisch wie ein alter Traum aus dem Kühlschrank, ausgepackt und glitzernd.
Bis jetzt waren es nur flüchtige Eindrücke gewesen -Vorboten vielleicht; Omen; Ausreißer. Vielleicht hatte es nichts zu bedeuten, dieses jugendliche Gesicht, das ihn in einer Menschenmenge verfolgte, um plötzlich nicht mehr da zu sein, das wie Treibgut aus abenddunklen Gassen starrte. Er wollte, dass es nichts zu bedeuten hatte. Er befürchtete das Gegenteil.
Abby aß den Nachtisch zu Ende und räumte ab. »Heute kam Post aus New York«, sagte sie. »Sie liegt in deinem Sessel.«
Er war froh, von seinen düsteren Gedanken erlöst zu werden. Er ging ins ›Wohnzimmer‹, wie Abby das lange Südende des einfachen, rechteckigen Hauses nannte, das Guilford vor gut zehn Jahren gebaut hatte. Er hatte die Mauern hochgezogen, die Zimmermannsarbeiten gemacht und das Fundament gegossen; ein ansässiger Unternehmer hatte das Haus verputzt und mit Schindeln gedeckt. In
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