Das 2. Buch Des Blutes - 2
vertuscht, oder? Die wissen, wer’s war.«
Lächerliches Geschwafel, dachte Kaufman. Er nahm seine Brille ab und steckte sie in die Tasche: Die Konturen des bärtigen Gesichts verschwammen. Wenigstens das war ein Fortschritt.
»Dreckskerle«, sagte der Mann. »Scheiß-Dreckskerle, die ganze Bande. Jede Wette, sag’ ich Ihnen, daß hier was vertuscht wird.«
»Was denn?«
»Die haben Beweise, nur uns lassen sie beschissenerweise im dunkeln rumtappen. Irgendwas ist da am Werken, was Un-menschliches. «
Kaufman begriff. Der Blödmann wollte auf eine Verschwörungstheorie hinaus. Dergleichen hatte er sich schon oft anhören müssen: ein Allheilmittel.
»Schaun Sie, die klonen rum mit ihren Retorten, und dann gerät ihnen das Zeugs außer Kontrolle. Die könnten Wahn-sinnsmonster züchten, weiß doch jeder. Irgendwas ist da drunten am Werken, über das sie uns nichts sagen wollen. Sie vertuschen alles, meine Rede. Jede Wette, sag’ ich Ihnen.«
Kaufman fand die Unbeirrbarkeit des Mannes gar nicht ohne.
Monster auf der Pirsch. Sechs Köpfe, ein Dutzend Augen, Warum nicht?
Darum nicht. Das hätte seine Stadt von Schuld freigesprochen: Damit wäre sie aus der Klemme. Und Kaufman war zutiefst überzeugt, daß die Monster, auf die man in den U-Bahn-Tunnels stoßen würde, durch und durch menschlich waren.
Der Bärtige warf sein Geld auf die Theke, erhob sich und ließ seinen fetten Hintern vom fleckigen Plastikhocker gleiten.
»Wahrscheinlich so ein Scheiß-Cop«, sagte er und nahm Anlauf zu einem letzten Deutungsversuch: »Wollte ‘nen Scheiß-Helden machen, is’ aber ‘n Scheiß-Monster dabei rausgekommen. « Er grinste verzerrt. »Jede Wette«, hängte er noch dran und stapfte ohne ein weiteres Wort schwerfällig hinaus.
Kaufman atmete langsam durch die Nase aus und spürte, wie die Anspannung in seinem Körper abebbte.
Er haßte solche Begegnungen, bei denen er sich sprachlich wie gelähmt und kraftlos fühlte. Und, weil er gerade daran dachte, er haßte diese Sorte Mensch: den rechthaberischen, sturen Rohling, eine typische Ausgeburt New Yorks.
Es ging auf sechs, als Mahogany erwachte. Der morgendliche Regen hatte sich mit Anbruch der Abenddämmerung in ein leichtes Nieseln verwandelt. Die Luft roch so rein, wie sie’s in Manhattan allenfalls werden konnte. Er räkelte sich auf seinem Bett, warf die schmuddelige Decke ab und stand auf zur Arbeit, Vor dem Badezimmerfenster tropfte der Regen auf den Kasten der Klimaanlage, sein rhythmisches Geplätscher klang durch die ganze Wohnung. Mahogany schaltete den Fernseher ein, um das Geräusch zu übertönen; es war ihm völlig gleich, welches Progamm gerade lief.
Er ging zum Fenster. Sechs Stockwerke tiefer stauten sich in der Straße Verkehr und Menschen.
Nach harter Tagesarbeit war ganz New York auf dem Weg nach Hause: zum Spiel, zur Liebe. Menschen fluteten aus den Büros und in die Autos. Manche waren nach der schweißtreibenden Arbeit in einem schlecht gelüfteten Büro sicher ziemlich gereizt; andere schlenderten, gutmütig wie Schafe, die Avenues hinunter heimwärts, begleitet von einem nicht enden wollenden Strom aus Leibern. Wieder andere wurden eben jetzt in der U-Bahn aneinandergepfercht, blind für die Graf fiti an den Wanden, taub für das Gemurmel ihrer Stimmen und das kalte Getöse im Tunnel.
Sich das auszumalen, machte Mahogany Freude. Er war schließlich keiner vom üblichen Haufen. Er konnte an seinem Fenster stehen, auf Tausende von Köpfen da unten schauen und sich sagen, daß er ein Auserwählter war.
Natürlich hatte auch er unumstößliche Termine einzuhalten, wie die Leute auf der Straße. Aber seine Arbeit hatte mit deren sinnloser Plackerei nichts zu tun, sie glich eher einer heiligen Pflicht.
Auch er mußte für sein Leben sorgen und schlafen und schei
ßen wie sie. Aber ihn trieb nicht zwangsläufiger Gelderwerb an, er gehorchte den Forderungen der Geschichte.
Er stand in einer großen Tradition, die noch weiter zurückreichte als die Geschichte Amerikas. Er war ein schleichender Jäger der Nacht: wie Jack the Ripper, wie Gilles de Retz, eine fleischgewordene Verkörperung des Todes, ein Gespenst mit menschlichem Antlitz. Er war einer, der den Schlaf heimsuchte und Schreckensängste erweckte.
Die Leute dort drunten konnten sein Gesicht nicht kennen; auch würden sie’s nicht der Mühe wert finden, ihn zweimal anzusehn. Sein Blickstrahl aber würde sie sich greifen und sie sorgsam abwägen, um dann nur die gereif testen
Weitere Kostenlose Bücher