Das 2. Buch Des Blutes - 2
Exemplare aus der vorbeiziehenden Parade zu erlesen, denn nur die ganz Gesunden und die Jungen waren auserwählt, unter seinem gebenedeiten Messer zu fallen.
Manchmal drängte es Mahogany, der Welt seine wahre Identität zu verkünden, aber er hatte Verpflichtungen, und die lasteten schwer auf ihm. Ruhm konnte er sich nicht erhoffen.
Ihm war ein Leben hinter den Kulissen bestimmt, und nur der Stolz war’s, der nach Anerkennung drängte.
Und überhaupt, so fragte er sich, begrüßt denn das Rind ehrerbietig den Fleischer, wenn es in die Knie bricht?
Alles in allem, er war’s zufrieden. Teil jener großen Tradition zu sein, das war genug und mußte immer genug bleiben.
Seit neuestem jedoch gab es Ermittlungen. Natürlich waren sie nicht auf sein Versagen zurückzuführen. Man konnte unmöglich ihm die Schuld anlasten. Aber es waren schlimme Zeiten.
Das Leben war nicht so einfach wie noch vor zehn Jahren.
Freilich, er war genau um diese Spanne älter geworden, und das machte die Aufgabe strapaziöser; und immer stärker lastete die Verpflichtung auf seinen Schultern. Er war ein Auserwählter, und dieses Privileg machte das Leben schwierig.
Hin und wieder fragte er sich, ob es nicht an der Zeit sei, sich zu überlegen, einen jüngeren Mann für seine Aufgaben auszubil-den. Man würde notwendigerweise die Stadtväter konsultieren müssen, aber früher oder später mußte er einen Ersatz finden, und es wäre, das fühlte er, ein sträfliches Brachliegenlassen seiner Erfahrung, keinen Lehrling aufzunehmen.
Er konnte so viele meisterlich beherrschte Techniken weitergeben. Die Finessen seines außerordentlichen Gewerbes: die beste Art, sich anzuschleichen, zu schneiden, zu entblößen, auszubluten; das beste geeignete Fleisch; die einfachste Art, das Restliche loszuwerden; so viele Details, ein so großes Sachwissen.
Mahogany schlenderte ins Bad und ließ die Dusche laufen. Als er unter den Strahl stieg, sah er an seinem Körper hinunter, auf den leichten Bauchansatz, die grau werdenden Haare auf seiner einsinkenden Brust, die Narben und Pusteln, die seine blasse Haut verunzierten. Er wurde alt. Dennoch, heute nacht hatte er wie jede andre Nacht sonst auch eine Aufgabe zu erledigen,..
Kaufman eilte mit seinem Sandwich hastig in die Eingangshalle zurück, schlug den Kragen runter und strich sich den Regen aus den Haaren. Die Uhr überm Aufzug zeigte sechzehn nach sieben. Bis zehn würde er durcharbeiten, keinesfalls länger.
Der Aufzug beförderte ihn in den zwölften Stock zum Pappas-Bürotrakt. Bedrückt zockelte er durch das Labyrinth leerer Schreibtische und zugedeckter Maschinen zu seinem kleinen Hoheitsbereich, in dem das Licht noch brannte. Die Frauen, die die Büros reinigten, tratschten draußen auf dem Flur: ansonsten war’s hier oben wie ausgestorben.
Er zog den Mantel aus, schüttelte von ihm den Regen ab, so gut er konnte, und hängte ihn auf.
Dann setzte er sich vor die Stapel von Aufträgen, mit denen er sich den Großteil der letzten drei Tage herumgeschlagen hatte, und begann mit der Arbeit. Nur noch einen Abend würde die Plackerei dauern, dann wäre der gröbste Teil der Arbeit bewältigt, da war er sich sicher, zumal es ihm zu dieser Tageszeit ohne den unablässigen Lärm der Schreibkräfte und Maschinen um ihn herum leichter fiel, sich zu konzentrieren.
Er wickelte sein Sandwich aus—Schinken auf Vollkornbrot mit extra Mayonnaise - und richtete sich auf den langen Abend ein.
Jetzt war es neun.
Mahogany war für die Nachtschicht gekleidet. Er hatte den üblichen gedecktfarbenen Anzug an, dazu die säuberlich gebundene braune Krawatte und die silbernen Manschetten-knöpfe (ein Geschenk seiner ersten Frau), die in den Umschlägen seines makellos gebügelten Hemds steckten; sein schütteres Haar glänzte vor öl, seine Nägel waren geschnitten und poliert, sein Gesicht von Kölnischwasser gerötet.
Seine Tasche war gepackt: die Handtüchter, die Werkzeuge, seine Kettenpanzerschürze.
Er prüfte sein Erscheinungsbild im Spiegel. Man konnte ihn, fand er, noch immer für einen Mann um die fünfundvierzig, allenfalls fünfzig halten.
Als er sein Gesicht musterte, rief er sich seine Verpflichtung ins Gedächtnis. Vor allem hieß es vorsichtig sein. Bei jedem Schritt seines Weges heute nacht ruhten Augen auf ihm, die sein Auftreten beobachteten und ihre Schlüsse daraus zogen.
Er mußte daherkommen wie ein Unschuldiger und durfte keinen Verdacht erregen.
Wenn die nur wüßten! dachte er.
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