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DAS 5. OPFER

DAS 5. OPFER

Titel: DAS 5. OPFER Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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nichts klar.
    Seine Opfer schienen nichts gemeinsam zu haben: eine Buchhalterin mit zwei Kindern, eine Kellnerin, die Wechselschichten im Silver Spoon Diner arbeitete, eine Filmstudentin von der Wesleyan Universität, ein Ex-Model, das zur Kneipenhockerin geworden war. Die Polizei war ratlos.
    Am Ende blieben alle – die Polizei, die Familien der Opfer und die Bürger von Brighton Falls – mit mehr Fragen als Antworten zurück. Warum schnitt Neptun seinen Opfern die rechte Hand ab? Warum hielt er sie vier Tage lang am Leben, nachdem er die Hände in den Milchkartons auf den Stufen der Polizeiwache zurückgelassen hatte? Und was war anders an seinem letzten Opfer, der glamourösen, jetzt abgehalfterten Vera Dufrane? Warum wurde ihre Leiche niemals gefunden?
    Und vielleicht die größte Frage von allen: War er nur ein Herumtreiber auf der Durchreise, oder ist er immer noch dort draußen, lebt unter ihnen? Was hat ihn dazu gebracht, aufzuhören? Und – das fragen sich die Leute in Brighton Falls jede Nacht, wenn sie ihre Türen abschließen – wird er eines Tages wieder töten?

1 16. Oktober 2010 – Rockland, Vermont
    STELL DIR VOR, DEIN HAUS steht in Flammen. Du hast genau eine Minute Zeit, um so viel mitzunehmen, wie du kannst. Wofür entscheidest du dich?
    Tara drehte die kleine Sanduhr um, die mit rosafarbenem Sand gefüllt war. Ihre Fingernägel waren in einem giftigen Blau lackiert, der Lack hier und da abgeblättert. Ihr Gesicht war bleich, ihre Lippen leuchtend rot, als sie lächelte, das Wort Los! hauchte.
    Reggie raste den Korridor entlang, schlitterte, als sie die Ecke vor der engen Eichentreppe umrundete, hinaufpolterte, mit einer Hand auf dem geschwungenen, schlangenähnlichen Geländer, die andere an der kühlen, feuchten Steinwand.
    »Deine Lungen füllen sich mit Rauch!«, rief Tara von unten. »Deine Augen tränen.«
    Reggie keuchte, riss die Tür zu ihrem Zimmer auf, ihr Blick wanderte über die vollen Bücherregale, den mit ihren Zeichnungen bedeckten Schreibtisch, das ordentlich gemachte Bett mit der Steppdecke, die ihre Großmutter genäht hatte. Ihr Blick glitt über all das und ging dann direkt zum Schrank, bewegte sich in Zeitlupentempo dorthin, tastete sich in dem unsichtbaren Rauch voran, die brennenden Augen jetzt fest geschlossen.
    Sie streckte die Hand nach der Schiebetür aus und öffnete sie, die kleinen Metallräder klapperten in ihrer Schiene. Reggie trat vor, ihre Finger fanden Kleider, die auf Bügeln aufgehängt waren.
    Sie streckte sich nach oben, tastete nach dem Ablagefach.
    »Beeil dich«, flüsterte Tara, jetzt direkt hinter ihr, ihr Atem warm und feucht an Reggies Hals. »Deine Zeit läuft ab.«
    REGGIE ÖFFNETE IHRE AUGEN , atmete tief die frische, kalte Oktoberluft ein. Sie war Zuhause in Vermont. Nicht zurück in Moniques Wunsch. Und sie war neununddreißig – nicht dreizehn.
    »Verdammt«, sagte sie; das Wort war eine Wolke weißen Dampfs, der aus ihrem Mund entwich. Sie hatte wieder die Fenster offengelassen.
    Die Daunendecke wie ein Cape um sich gewickelt, glitt sie aus dem Bett und ging direkt zu den Fenstern, zog sie zu. Die Bäume, die noch letzte Woche lebhaftes Orange, Gelb und Rot getragen hatten, verloren ihre Leuchtkraft. Die Kälte und der Wind der letzten drei Tage hatten viele der Blätter von den Bäumen geholt. Draußen über dem See war eine V-förmige Formation von Kanadagänsen in Richtung Süden unterwegs.
    »Ihr wisst nicht, was ihr verpasst«, sagte Reggie zu ihnen. Dann, mit ihrem nächsten Atemzug, murmelte sie: »Hühnerkacke.« Sie blinzelte hinunter zum See, stellte ihn sich in drei Monaten vor, zugefroren und schneebedeckt, eine flache Mondlandschaft in Weiß. Er unterschied sich gar nicht so sehr vom Ricker’s Pond, wo ihre Mutter ihr das Schlittschuhfahren beigebracht hatte. Reggie konnte es deutlich vor sich sehen: wie ihre Mutter in einem grünen Samtmantel und einem goldenen Chiffonschal in eleganten Kreisen dahinsegelte, während Reggie wackelte und fiel und das Eis unter ihnen knackte. »Bist du sicher, dass das ungefährlich ist?«, hatte sie ihre Mutter jedes Mal gefragt, wenn das Eis ein Geräusch machte. Und ihre Mutter hatte gelacht. »Angsthase«, hatte sie sie geneckt, war direkt in die Mitte gefahren, dorthin, wo das Eis am dünnsten war, und hatte Reggie ihre Hände entgegengestreckt. »Komm hierher und zeig mir, aus was für einem Holz du geschnitzt bist.«
    Reggie schüttelte die Erinnerung ab, zusammen mit der schweren

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