Das achte Opfer
kam öfter vor, oder?«
»Na ja, ab und zu. Aber letzte Nacht war es schon besonders laut. Und dann später noch die Schreie, aber …« Sie zuckte mit den Schultern und sah zu Boden. »Es tut mir leid, ich habe ja nicht ahnen können, was da unter mir passiert ist.«
»Nein, das konnten Sie nicht«, sagte Julia Durant. »Trotzdem vielen Dank für Ihre Hilfe.«
»Ich hoffe, Sie finden den Kerl bald. Solche Schweine gehören für den Rest ihres Lebens ins Zuchthaus. Bringen eine junge Mutter um!«
»Ich denke, wir werden ihn finden«, sagte die Kommissarin. Sie ging zum Auto zurück.
Auch diesmal war es das gleiche wie so oft, man hörte oder sah etwas Verdächtiges, aber man hatte Angst. Erst kürzlich war in einer vollbesetzten U-Bahn um kurz nach zwanzig Uhr eine junge Frau von vier Halbwüchsigen zusammengeschlagen und vergewaltigt worden, ohne daß auch nur einer der Fahrgäste eingeschritten wäre. Nicht das Verbrechen an sich machte sie wütend, sondern die Angst und zum großen Teil auch Teilnahmslosigkeit der anderen Menschen. Vom Auto aus veranlaßte sie, daß die Fotos der drei Verdächtigen an sämtliche Polizeistationen im Rhein-Main-Gebiet weitergeleitet wurden. Als nächstes fuhr sie mit Hellmer zu der Adresse, unter der Karl-Heinz Schenk gemeldet war. Er wohnte im dritten Stock eines von außen wie von innen unscheinbaren, aber sauberen Mehrfamilienhauses.
Julia Durant klingelte, er öffnete die Tür. Er trug Designer-Jeans, teure, italienische Schuhe und ein Seidenhemd. Um den Hals hatte er eine goldene Panzerkette, am linken Handgelenk eine Rolex. Sie hielt ihren Dienstausweis vor das Gesicht mit dem dunklen Dreitagebart.
»Herr Schenk?«
»Ja?« fragte er mit zu Schlitzen verengten Augen.
»Dürfen wir reinkommen?«
»Was gibt’s denn?«
»Nur ein paar Fragen, mehr nicht.«
Er gab die Tür frei, ließ Durant und Hellmer eintreten. Schenk setzte sich auf die Couch, nahm ein Glas Bier und trank einen Schluck. Keine Spur von Nervosität.
»Sie kennen eine Verona Tietgen?«
»Kann sein«, sagte er und tat gelangweilt.
»Kennen Sie sie, oder kennen Sie sie nicht?«
»Was wollen Sie von mir?«
»Frau Tietgen ist letzte Nacht einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen.«
»Und was habe ich damit zu tun?«
»Nun, ganz einfach. Wir haben ihre Fingerabdrücke überall in der Wohnung gefunden, und außerdem sind Sie gestern am späten Abend gesehen worden, wie Sie das Haus, in dem Frau Tietgen wohnte, betreten haben.«
Schenk grinste und schenkte sich Bier nach. »Und weiter? Ist das alles?«
»Nein. Niemand hat gesehen, wie Sie das Haus verlassen haben. Zumindest nicht, bevor Frau Tietgen getötet wurde.«
»Na und, was will das besagen?«
»Hatten Sie gestern nacht mit Frau Tietgen Geschlechtsverkehr?«
»Scheiße, was soll das? Wollen Sie mich über mein Sexualleben befragen?«
»Hatten Sie, oder hatten Sie nicht?«
»Ja, verdammt noch mal, wir haben miteinander geschlafen.«
»Und wann haben Sie das Haus verlassen?«
»Keine Ahnung, hab nicht auf die Uhr gesehen.«
»Sie haben sich aber auch gestritten.«
»Wer sagt das?«
»Das ist doch egal. Es war jedenfalls nicht zu überhören gewesen. Um was ging es bei dem Streit?«
»Keine Ahnung. Unwichtig.«
»Lieber Herr Schenk, unwichtig ist in diesem Fall gar nichts. Also, um was ging’s? Drogen?«
Schenk sah kurz zu Durant, dann zu Hellmer, der sich Notizen machte. »Ich will meinen Anwalt sprechen.«
»Oh, Sie wollen jetzt schon einen Anwalt haben? Dann steckt also doch mehr dahinter.«
»Sie können mich mal. Ohne meinen Anwalt sage ich kein einziges Wort mehr.«
»Okay, Sie können mit Ihrem Anwalt sprechen, aber auf dem Präsidium. Sie sind nämlich vorläufig festgenommen. Und zwar wegen des dringenden Tatverdachts, Verona Tietgen heute in den frühen Morgenstunden getötet zu haben.«
»O verdammt, ich habe sie nicht erwürgt!«
Die Kommissarin grinste ihn an, ließ einen Moment verstreichen, sah, wie Schenk mit einem Mal kalkweiß wurde. »Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen gesagt zu haben, wie Frau Tietgen getötet wurde. Tja, ich schätze, wir gehen dann mal. Wenn ich bitten dürfte.« Hellmer holte die Handschellen aus der Jackentasche. »Stehen Sie bitte auf, und drehen Sie sich um. Die Hände bitte hinter den Rücken.«
Schenk stand langsam auf, Hellmer legte ihm die Handschellen an. Sie fuhren ins Präsidium, Schenks Anwalt wurde verständigt und traf eine halbe Stunde später ein. Er beriet sich kurz mit
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