Das achte Opfer
sich eine Zigarette an.
»Das Lamm öffnete das erste der sieben Siegel! Pah, was fürein Blödsinn! Hört sich an, wie irgend so ein Schwachsinn von Shakespeare oder Goethe oder …«
»Ein Zitat aus der Bibel«, erwiderte Durant lakonisch.
»Aus der Bibel?« fragte Hellmer. »Wie kommst du darauf?«
»Mein Vater war Priester. Ein wenig kenne ich mich in der Bibel aus. Soweit ich mich erinnern kann, stammt das Zitat aus der Johannesoffenbarung. Ich werde später zu Hause nachsehen, ob ich es in meiner Bibel finde.«
»Sie haben eine Bibel?« fragte Kullmer anzüglich grinsend. »Tja, es soll Leute geben, die sich ab und zu auch mit etwas Anständigem beschäftigen«, gab sie spitz zurück.
»Schwachsinn. Wenn das wirklich aus der Bibel stammt, dann haben wir es hier vielleicht mit einem religiösen Fanatiker zu tun. Vielleicht mit einem, der sich auserkoren fühlt, die ach so böse Welt zu retten.«
»Wenn Sie meinen. Aber im Augenblick haben wir Wichtigeres zu tun. Wir haben nämlich noch einen Mord zu bearbeiten. Also, machen wir uns an die Arbeit.« Sie blickte zur Uhr, kurz vor zwölf. Sie hatte Hunger. »Ich werde mir jetzt eine Currywurst holen, danach sollten wir mal sehen, ob die Spurensicherung schon etwas Brauchbares zu bieten hat.«
Hellmer erhob sich von seinem Stuhl. »Ich komme mit. Ich könnte nämlich auch was zu essen vertragen.«
Gemeinsam verließen Julia Durant und Hellmer das Büro, überquerten die Mainzer Landstraße und gingen in einen kleinen Imbiß in der Nähe des Präsidiums. Sie aßen jeder eine Currywurst und tranken ein kleines Glas Bier, bezahlten und kehrten um halb eins zurück. Berger war allein im Büro, Kullmer war noch einmal an den Tatort gefahren.
»Und, hat die Spurensicherung schon angerufen?« fragte die Kommissarin.
»Nein, aber Sie können ja mal kurz nachfragen.«
Sie zündete sich eine Zigarette an, nahm den Hörer vom Telefon, wählte die Nummer. Sie hatte den Notizblock vor sich liegen. Sie sagte »Ja« und »Das hilft uns weiter« und »Danke« und legte wieder auf. Sie hatte sich ein paar Namen aufgeschrieben.
»Ich denke, wir werden den Kerl bald haben. Sie haben zahlreiche Fingerabdrücke gefunden, von denen drei zu Typen gehören, die einschlägig vorbestraft sind. Helmut Maier wegen Drogenbesitzes und -handels, Georg Zickler wegen Notzucht und Mißhandlung Minderjähriger und Karl-Heinz Schenk wegen versuchten Totschlags und Drogenhandels. Ich nehme mal an, daß einer von den dreien die junge Frau umgebracht hat.« Sie drückte ihre halbgerauchte Zigarette im Aschenbecher aus, nahm ihre Handtasche und sagte: »Dann holen wir uns mal die Fotos der drei und legen sie den Hausbewohnern vor.«
Berger nickte. Er wußte, der Fall würde schnell geklärt sein. Als Durant und Hellmer die Tür hinter sich geschlossen hatten, zog er die unterste Schublade seines Schreibtischs heraus, hob einige Akten an und holte eine halbvolle Flasche Weinbrand hervor. Er schraubte den Verschluß ab, nahm einen kräftigen Schluck, verschloß die Flasche wieder und legte sie zurück in ihr Versteck.
Montag, 16.30 Uhr
Julia Durant und ihre Kollegen hatten die Fotos der Verdächtigen den Hausbewohnern gezeigt. Immer wieder wurde auf das Bild, das Karl-Heinz Schenk zeigte, gedeutet. »Der war auch gestern abend hier«, sagte eine Nachbarin. »Ich bin ihm im Treppenhaus begegnet, das war so gegen elf,nach den ›Tagesthemen‹. Er kam gerade hoch, als ich mit meinem Hund noch mal auf die Straße bin. Als ich zurückkam, etwa eine halbe Stunde später, war es ziemlich laut in der Wohnung.«
»Laut? Inwiefern?«
»Musik, das Baby hat geschrien, was die beiden aber offensichtlich nicht weiter gestört hat, denn sie haben sehr laut geredet und vor allem gelacht.«
»Gelacht?«
»Na ja, gelacht eben. Was weiß ich, was die getrieben haben. Aber irgendwann hat der Krach aufgehört …«
»Und dann später in der Nacht wieder angefangen«, sagte die andere Nachbarin, die auch die Polizei alarmiert hatte. »Mitten in der Nacht ist es richtig laut geworden.«
»Und warum haben Sie nichts unternommen? Warum haben Sie sich nicht beschwert oder gleich die Polizei gerufen?«
Die alte Frau schüttelte nur müde lächelnd den Kopf. »Nein, nein, so einfach geht das hier nicht. Schauen Sie, ich lebe allein, und das sind junge Leute. Ich habe keine Lust und auch keine Kraft mehr, mir Ärger wegen so was einzuhandeln. Es war ja nicht jede Nacht so.«
»Aber es kommt oder, sagen wir,
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