Das Aion - Kinder der Sonne
begrüßt?«
Das Mädchen schüttelte verständnislos den Kopf.
»Nun, das dachte ich mir …« Jadamon zog seine Kreise durchs Zimmer. »Er hat dir den Zugang zu seiner Welt nicht ohne Grund verwehrt, Wüstenkind. Der Nebethaum ist das Tor, aber gleichzeitig auch sein Wächter.«
»Aber ich hatte doch keine bösen Absichten«, verteidigte sich Mira. »Warum hätte er mich ablehnen sollen?«
»Weil du offensichtlich etwas elementar Wichtiges vergessen hast«, erklärte das Orakel.
»Ja, aber was denn?«
»Ein Opfer, Mira. Du wolltest etwas unschätzbar Wertvolles entwenden, ohne dafür zu bezahlen. Der Nebethaum muss gefühlt haben, dass du nicht bereit warst, ein Opfer zu bringen. Es kam dir womöglich nicht einmal in den Sinn, dies zu tun. Die Beweggründe deiner Mission mögen nobel sein, deine Ziele zweifellos edel, doch mit gutem Willen allein ist es in diesem Fall nicht getan. Etwas so Kostbares wie eine Arcasie verlangt nach einem ebenso wertvollen Opfer.«
»Was kann in dieser Stadt so wertvoll sein, dass es sich mit einer Arcasie aufwiegen lässt?«
»Du, Mira.«
Das Mädchen sah den leuchtenden Kopf perplex an. »Das war ein Scherz, oder?«
»Tut mir leid, Wüstenkind, ich wünschte, es wäre so. Wer Leben nimmt, muss Leben geben. Dieses Gesetz ist so alt wie das Universum selbst.«
Mira starrte das leuchtende Mondgesicht des Orakels entsetzt an. »Aber … davon war nie die Rede!«
»Ich weiß«, sagte Jadamon. »Es stand dir gestern Nacht ins Gesicht geschrieben. Aber ich konnte auch erkennen, dass dein Streben nach dem Unmöglichen nicht von Eigennutz geleitet wird oder gar von dem Wunsch, sich an der Unsterblichkeit zu bereichern. Darabar wird sich noch einige Tage über dem Meer befinden. Du hast also genug Zeit, um in Ruhe darüber nachzudenken und eine Entscheidung zu treffen. Solltest du auch nur im Geringsten zweifeln oder sich deine Opferbereitschaft als Heuchelei entpuppen, wird der Nebethaum dich gewiss dafür bestrafen. Willst du jedoch auch weiterhin deiner Bestimmung folgen, kann dein Weg nur durch den Weltenbaum führen. Früher oder später wirst du deiner Nemesis also die Stirn bieten müssen. Aber sei gewarnt: Steht dein Entschluss erst einmalfest, gibt es für dich kein Zurück mehr. Sobald der Weltenbaum dir das Tor zur anderen Seite öffnet, gehört dein Leben ihm.« Der Kopf des Orakels schwebte vor eines der Fenster. »Wie ich bereits sagte: Es besteht die Möglichkeit für einen Kompromiss«, erinnerte er das Mädchen. »Aber er wird dir nicht gefallen.«
»Und … wann …?«, flüsterte Mira.
»Gewiss nicht heute«, antwortete Jadamon mit einem milden Lächeln. »Und bestimmt auch nicht morgen. Aber zu gegebener Zeit wird der Nebethaum dein Leben einfordern. Dessen solltest du dir bewusst sein, ehe du deine Mission weiter verfolgst. Du hast die Wahl, Mira: Bewahre dein eigenes Leben und opfere das, wofür du kämpfst – oder rette, was wertvoll ist, und bring dich selbst als Opfer dar. Wir werden uns wiedersehen, wenn du deine Entscheidung getroffen hast.« Mit diesen Worten zerstob sein Kopf zu einer Wolke kleiner leuchtender Partikel, die durch das geschlossene Fenster hinaus in die Nacht flohen.
Mira trat heran und verfolgte ihren Flug durch die Dunkelheit. Wie ein Schwarm Leuchtkäfer schwirrten sie über die Dächer von Darabar hinauf in die Oberstadt, dann sanken sie geschlossen nieder und verblassten. Lange stand Mira am Fenster und sah hinaus in die Nacht, dann hob sie ihren Blick empor zum Firmament, wo ihr Namensstern im Sternbild Cetus schimmerte.
Der Kampf des Aion gegen die Unwesen hatte eben erst begonnen.
Glossar
Ammonion Ammonion war im Altertum der Name der in der Libyschen Wüste gelegenen Oase Siwa. Sie war dem ägyptischen Gott Amun geweiht und neben Delphi (Apollo) und Dodona (Zeus) die bekannteste Orakelstätte der Antike. Der Tempel, das eigentliche Ammonion, wurde im 6. Jahrhundert v. Chr. gebaut. Archäologen sind sich jedoch einig, dass Siwa bereits vorher als Orakelort bekannt war. Alexander der Große wurde nach seinem Einmarsch in Ägypten nach Ammonion geleitet, wo er zum Sohn des Amun erklärt wurde. Er befragte auch das Orakel, um sich von ihm seinen Anspruch auf den ägyptischen Thron bestätigen zu lassen.
Aquatisch Als aquatisch (auch: aquatil, »im Wasser, zum Wasser gehörend«) bezeichnet man in der Biologie Organismen, die ihren Lebensmittelpunkt im Wasser haben, beispielsweise Fische. Aquatisch ist
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