Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
niemandem in der Fraktion etwas gegen ihn eingefallen. Im Gegenteil. In der Zeit von Gegenkandidaten, Intrigen und unehelichem Nachwuchs der Parteielite war Kolonat Schleycher ein Paradebeispiel von vorbildlicher CSU -Karriere.
Eigentlich war er gelernter Dorfpfarrer einer kleinen Gemeinde in der bayerischen Rhön gewesen, doch dann hatte er sich bald durch die Kommunalpolitik einen Namen in der CSU gemacht. Kurz darauf folgte der Aufstieg in mittlere und auch höhere Parteiämter, und das, ohne groß aufzufallen, was in der CSU keine leichte Übung darstellte. Neider gab es natürlich trotzdem. Aber wie wollte man einem ehemaligen Geistlichen, der noch dazu eine geradezu seelsorgerische und einnehmende Öffentlichkeitsarbeit hinlegte, am Lack kratzen? Kaum im Amt des Ministers eingeschworen war Kolonat Schleycher schon der beliebteste Minister beim Volk. Ein »Everybody’s Darling«, der nach Wahlstimmen geradezu stank. Da musste man schon auf einen gewaltigen Skandal hoffen, um so jemanden noch vom Sockel zu stoßen. Kolonat Schleycher wusste um die Haifische, die ihn von der Basis her treuherzig und falsch anlächelten. Er hatte seine Pfründe zu sichern und Unbill in der Öffentlichkeitsarbeit zu vermeiden. Und deswegen war er hier.
Er atmete noch ein letztes Mal tief durch und begann seine erste Rede in Banz. »Probleme sind da, um bewältigt zu werden!«, rief er ins Auditorium. »Die CSU kann und will es nicht jedem recht machen, besonders nicht in der Umweltpolitik. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich stehe hier, um Ihnen unbequeme und unpopuläre Entscheidungen vorzulegen. Entscheidungen, die …«
In diesem Moment fiel das Licht aus. Dann versagte die Tonanlage. Nach einem kurzen Moment des Erschreckens machte sich verunsichertes Kichern im Raum breit.
»Der Herr selbst hat dir wohl den Saft abgedreht, was?«, rief ein potenzieller Missgünstling aus den hinteren Reihen, und damit war der Bann gebrochen. Die CSU -Fraktion lachte sich tot. Es wurde entschieden, eine Sitzungspause einzulegen, und Kolonat Schleycher hoffte, dass dieser Stromausfall nicht ein böses Omen für seine Amtszeit war.
*
In Nedensdorf war Volksfeststimmung. Kanu- und Kajakfahrer aus ganz Bayern hatten sich zur finalen Großkundgebung an der Einstiegsstelle versammelt, um gegen die angeblichen üblen Machenschaften der Fischerei zu demonstrieren. Am morgigen Sonntag wollte man im Zuge eines »Widerstandspaddelns« auf dem Main bei der Öffentlichkeit und vor allem bei der Regierung auf dem Banzberg für mehr Aufmerksamkeit sorgen. Die Auseinandersetzungen zwischen Anglern und Bootsfahrern hatten im letzten halben Jahr dramatisch an Schärfe zugenommen. Geschichten von Prügeleien auf Kiesbänken, angebohrten Booten bis hin zu vergifteten Fischen waren im Umlauf.
Das Fass zum letztendlichen Überlaufen aber hatte der Fischereibevollmächtigte Rast gebracht. Der hatte sich vergangenen Juli groß für die Lokalzeitung ablichten lassen und verkündet, dass das Paddeln auf dem Main ja quasi schon erledigt war und diese bootfahrenden Umweltverbrecher im Prinzip bereits Flussgeschichte darstellten. Die Fischerei und seine Person im Speziellen hätten dafür schon alle erforderlichen Mehrheiten beisammen et cetera. Das Interview hatte mit dem unglücklichen Vergleich geendet, dass ein Bootsfahrer für den Main auch nicht besser sei als eine Heuschreckenplage für Äthiopien.
Daraufhin war ein kollektiver Aufschrei durch die fränkische Paddlergemeinschaft gegangen. Der Deutsche Kanuverband schrieb eine offizielle Protestnote an das Bayerische Umweltministerium, in der oberen Fischereifachbehörde in Bayreuth stapelten sich die Anträge auf Gutachten, und beim Bamberger Landrat gaben sich die entsprechenden Parteifunktionäre der Kampfhähne die Klinke in die Hand. Schließlich hörte man in der Szene das Gerücht, dass der neue Umweltminister in einer seiner ersten großen Amtshandlungen den ganzen Streit unterbinden wolle und eine Verordnung erlassen werde. Ob diese zugunsten der Bootsfahrer oder der Anglerschaft ausfallen werde, war aus seinen Äußerungen jedoch nicht ersichtlich. Da hielt sich das Umweltministerium ziemlich bedeckt. Kolonat Schleycher ging offensichtlich wesentlich bedachter vor als sein Amtsvorgänger, dem man eine natürliche Affinität mit der Paddlerei angemerkt hatte. Aber es lag etwas in der Luft, das spürte jeder, der in diesen Zank involviert war. Deshalb war für den morgigen Sonntag auch die erste
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