Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
Kopf wieder auf ihre ausgestreckten Vorderfüße. Mit einem Mal ertönte eine laute Melodie. Beethovens Neunte. War alles vielleicht doch kein Traum gewesen?
Behände sprang sie auf und drückte sich bebend gegen die eichene Eingangstür. Das kleine Herz klopfte ihr bis zum Hals. Verdammt. Hastig warf sie Blicke in sämtliche Ecken des Flurs, aber nirgendwo war ein Mann mit gelben Zähnen und Flinte zu entdecken. Doch wo kam dann die Musik her? Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und schlich mit kurzen Trippelschritten der Quelle der Sinfonie entgegen. Vorsichtig lugte sie ins Wohnzimmer und grunzte. Gott sei Dank. Es war nur das Telefon. Der Kommissar hatte offensichtlich mal wieder den Rufton geändert. So eine Schweinerei. Seit er einen Computer und Internet besaß, machte er sich an langen Sommerabenden anscheinend einen Spaß daraus, Klingeltöne runterzuladen. An sich eine Vorliebe von verpickelten Teenagern, aber wenn man ein gelangweilter Single war …
Einerseits war Riemenschneider ob dieser Entdeckung wieder beruhigt, andererseits bemächtigte sich des Schweins plötzlich ein ziemlich unangenehmer Druck auf die kleine, aber wohlgefüllte Blase. Das Greifenklau-Bier verlangte unaufschiebbar nach Ausgang. Als gut erzogenes fränkisches Ferkel lehnte das kleine Schwein es natürlich kategorisch ab, verdautes Bier an Möbelstücken zu entsorgen, also musste sie unbedingt raus. Vorsichtig nahm sie das neue Handy zwischen die spitzen Zähne und kletterte die Stufen zum kommissarischen Schlafzimmer hinauf. Dort legte sie das Telefon neben das Nachtkästchen in der Hoffnung auf den Boden, dass die inzwischen sehr laut abgesonderte neunte Sinfonie zum Erwachen des Herrn und Meisters führen würde. Aber nichts da. Kommissar Haderlein schlief den Schlaf des Gerechten und harrte konsequent des natürlichen Erwachens. Die Melodie hatte aufgehört und Beethoven versagt.
Riemenschneider griff zum letzten ihr bekannten Mittel, stellte die kurzen Vorderfüße auf die Oberkante des original japanischen Futonbetts und zerrte langsam, aber beharrlich die leichte Sommerdecke auf den Boden. Sie hatte das in einem dieser alten Schwarz-Weiß-Filme im Fernsehen gesehen, die ihr Kommissar so liebte. Da hatte es einen Hund namens Lassie gegeben, der das andauernd gemacht hatte. Sie war ziemlich beeindruckt gewesen, und da Riemenschneider schließlich weitaus intelligenter als so ein blöder Hund war, stellte das Nachahmen für sie kein Problem dar.
Sie wartete. Alles Weitere lag nun nicht mehr in ihrer Hand, allerdings bald in Form einer gelblichen Pfütze auf dem gedielten Schlafzimmerboden, wenn nicht schnell etwas passieren würde. Bellen wäre jetzt nicht schlecht, überlegte sie, aber da! Es tat sich etwas. Ein Fuß bewegte sich.
*
Kommissar Haderlein fiel die plötzliche Kühle unangenehm auf. Außerdem hatte anscheinend jemand das Radio angedreht, denn Beethoven dudelte in Endlosschleife durch sein Gehör. Ziemlich nervig, das Ganze. Er fingerte verzweifelt nach der Decke, um die Temperatur wieder zu erhöhen. Weg. Was sollte das? So konnte er jedenfalls nicht weiterschlafen. Es war doch Sonntag, Sommer, und er hatte dienstfrei. Aber so würde er nie weiterträumen. Es war zu laut und zu kalt. Kommissar Haderlein beschloss notgedrungen, aufzuwachen.
*
»So, hier machen wir Pause«, bestimmte ihr Vater, der Expeditionsleiter, kurz entschlossen. Er hatte von der ganzen Hektik dieses Urlaubs bereits die Nase gestrichen voll. Seit sie vor drei Tagen aus dem Zelt gekrochen waren, ging irgendwie alles schief. Der Main führte nun endgültig Niedrigwasser, der Pegel leuchtete rot und deutlich, und damit durften sie mit dem Boot nicht weiterfahren und saßen auf dem Campingplatz in Ebensfeld fest.
Seine dreizehnjährige Tochter fand das alles natürlich gar nicht lustig. Schon im Vorhinein hatte sie keine wirkliche Lust auf Bootfahren gehabt, doch jetzt wollte sie nur noch heim. Eigentlich am liebsten in einen Ferienclub auf die Kanaren so wie ihre beste Freundin und deren Eltern. Denn so ein Boot hatte kein Internet, es gab keine Disco in der Nähe, und zu guter Letzt hatte ihr ihr Vater auch noch das Handy verboten. Super!
»Wir verbringen eine Woche in der Natur. Ganz ohne diese verdammte Zivilisation«, hatte er verkündet.
Mama hatte auch gewollt, dass sie mal aus dem Haus verschwanden, und fand die Idee mit der Bootstour ziemlich gut. Keine Unterstützung in der ganzen Familie. Und jetzt saß sie hier allein mit
Weitere Kostenlose Bücher