Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
Herr Kommissar«, wehrte Griebel ab, »andererseits ist es auch nicht von so großem Belang, als dass ich Ihnen diese Informationen vorenthalten müsste. Ich habe Kolonat Schleycher damals nahegelegt, sich einen neuen Wirkungskreis zu suchen, da es Probleme mit seinem Führungsstil gab. Dem einen oder anderen war er etwas zu liberal im Umgang mit den Schülern.«
»Zu liberal?«, hakte Haderlein nach.
»Zu nachlässig mit seinen jungen Schäfchen«, formulierte Griebel die Antwort um. »Wir konnten uns da nicht einigen.«
Doch Haderlein wollte sich mit der Erklärung nicht abspeisen lassen. »Der Trennungsschmerz war offensichtlich so groß, dass Schleycher es vorzog, für eine längere Zeit im Kloster unterzutauchen. Das ist ungewöhnlich für einen Menschen, der doch einen gewissen Ehrgeiz entwickelt hat, was seine berufliche Zukunft anbelangt, finden Sie nicht?«
Der Bischof seufzte laut und vernehmlich und schüttete sich ein Häufchen Schnupftabak auf den Handrücken seiner linken Hand. »Wollen Sie auch eine Portion?«, bot er dem Kommissar an.
Haderlein konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Nein, vielen Dank. Ich rauche nicht und beabsichtige auch nicht, mir andere Laster zuzulegen, Herr Bischof.«
»Nun, wie Sie wollen, Herr Kommissar.« Mit einem lauten Geräusch wurde der Schnupftabak vom linken Nasenloch des Bischofs eingeatmet. Der Mangel an Restsubstanzen im Umgebungsbereich der Nase zeugte von der großen Routine im Umgang mit dem braunen Stoff. Anschließend schüttelte Altbischof Manfred Griebel sein weißes Haupt und nieste genussvoll.
»Gesundheit!«, rief Haderlein amüsiert.
»Vielen Dank. Das sind die Freuden alter Männer, Herr Haderlein«, erklärte ihm der Bischof. »Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich habe mich damals auch gewundert und Kolonats Entscheidung nicht verstanden. Eine große Karriere in der klerikalen Hierarchie lag vor ihm. Aber so sind sie, die jungen Leute. Immer revolutionäre Ideen im Kopf. Was soll man da machen?«
»Und wie finden Sie Ihren ehemaligen Regens so als Politiker? Offensichtlich hat er ja großen Erfolg mit seinem zweiten Berufsweg.«
Griebel verzog das Gesicht. »Meiner Meinung nach soll sich die katholische Kirche aus politischen Ämtern heraushalten. Die Politik ist ein Sündenpfuhl und nichts für uns Seelsorger, die über den Dingen stehen sollen. Ein Kirchenmann muss ein Vorbild mit tugendhaftem Lebenswandel sein. Und so etwas geht in der Politik nun mal einfach nicht, glauben Sie mir. Immerhin ist Kolonat in der richtigen Partei«, meinte er mit einem Zwinkern.
Beide Männer mussten lachen, dann erhob sich Haderlein. »Herr Bischof, ich danke Ihnen für die Zeit, die Sie mir geopfert haben. Ich habe Sie jetzt lange genug belästigt.«
Bischof Griebel gab Haderlein seine faltige Hand. »Es war mir eine Freude, junger Mann. Ich wünsche Ihnen, dass Sie die Bösewichter fangen, bevor sie noch mehr Unheil in dieser Welt anrichten können. Gertrud wird Sie hinausbegleiten.«
Draußen griff Haderlein sich sein Handy und versuchte Lagerfeld zu erreichen, doch dessen Telefon war abgeschaltet. Offensichtlich saß er noch immer in der Angelprüfung fest.
*
Nikolai trat aus der Tür. In der einen Hand hatte er eine kleine Mappe, in der anderen trug er eine schwarze Sporttasche. Unauffällig schaute er sich um. Doch es herrschte Ruhe. Im hintersten Winkel des ehemaligen Katharinenspitals kümmerte sich niemand um das kleine alte Haus und seinen Bewohner. Das hier war eine der verlassensten Ecken der Bamberger Innenstadt. Nikolai stieg in seinen BMW , warf Mappe und Tasche auf den Beifahrersitz und gab die Zieladresse in sein Navigationssystem ein.
Die Berechnung dauerte nur wenige Sekunden, dann erklärte ihm sein Display, dass er bis Kulmbach genau einundvierzig Minuten brauchen würde. Gelassen startete Nikolai den Motor.
*
Was ist ein Gaff?
Lagerfeld war froh, nach einer Stunde endlich bei der letzten Frage angekommen zu sein. Er hatte die Prüfung satt. Das Einzige, was sein Onkel ihm in seiner Kindheit erklärt hatte, war, wie man eine Angelrute halten musste. Auf den Fragebögen war allerdings von Dingen die Rede, die genauso gut bei der Konservenherstellung oder dem polnischen Kartoffelanbau Verwendung hätten finden können. Seiner Meinung nach.
Was also war ein Gaff? Ja, das hätte er auch nur zu gerne gewusst. Spontan schrieb er hilflos »Freundin, die beim Angeln zuschaut« aufs Papier. Erleichtert legte er seinen Stift
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