Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
Haderlein entfernt.
»Tja, Frau Staatssekretärin«, meinte der Hauptkommissar bedauernd. »Wo die Liebe hinfällt, nicht wahr? Aber dass Sie sich in puncto Gefühlen gerade für dieses missratene Subjekt entschieden haben, das hätte Ihnen doch irgendwann zu denken geben müssen.« Haderlein blickte Schleycher scharf an, der inzwischen geistesabwesend aus dem Fenster starrte.
»Sie werden Ihrer großen Liebe nun leider in die Einsamkeit einer Vollzugsanstalt folgen müssen, Frau Haier.«
Schweigend und regungslos nahm Gabi Haier die Tatsache zur Kenntnis. Selbst jetzt suchte sie mit ihren Fingern die Hand des Umweltministers, der nicht mehr die Kraft hatte, sich dagegen zu wehren. Ministerpräsident Kohlhuber und der Rest seiner Gäste standen wie betäubt im Raum und konnten nicht glauben, was sie da sahen und hörten.
Doch Haderlein hatte noch mehr zu sagen. Mit nachdenklichem Blick trat er wieder zurück in die Saalmitte. »Und nun bleibt die letzte aller Fragen zu klären: Wer hat einen der gefährlichsten Killer, den die Welt je gesehen hat, gedungen, um einen unschuldigen Teil der Abschlussklasse des Ottonianums von 1974 über dreißig Jahre später umbringen zu lassen? Wer ist dieser Mensch, was hatte er zu verlieren? Wo liegt das Motiv? Wir haben einen DNA -Test durchführen lassen, und bis vor wenigen Stunden hatte ich wirklich Sie im Verdacht, Herr Umweltminister.« Kolonat Schleycher blickte ihn aus hohlen Augen an. »Doch der genetische Fingerabdruck ist eindeutig. Kolonat Schleycher ist nicht identisch mit dem Auftraggeber des Killers Nikolai Dassajew. Der Test liefert ein anderes Ergebnis. Er zeigt uns, dass der Mann, der den Auftrag zu einer beispiellosen Mordserie gegeben hat, direkt mit Ihnen verwandt ist, Herr Umweltminister.«
In Schleychers Augen regte sich jetzt Verständnislosigkeit. »Wie … verwandt?«, fragte er mit leiser Stimme, die die Verzweiflung erahnen ließ, unter der er litt.
»Sie wollen wissen, wer Ihr Verwandter ist?«, hakte Haderlein nach. Doch Schleycher war nicht mehr fähig, einen logischen Gedanken zu fassen. Der Hauptkommissar ließ ihn stehen und ging zum anderen Ende des Saales, wo er vor Altbischof Griebel stehen blieb. »Na, wollen Sie Ihrem Sohn nicht reinen Wein einschenken, Herr Bischof?«, fragte Haderlein und schaute ihm ruhig und tief in die Augen.
»Sie sind ja verrückt!«, empörte sich Griebel in einem Ton, aus dem jede Freundlichkeit gewichen war. Haderlein schaute ihn an, schwieg und wartete.
»Sie sind ja völlig verrückt!«, schrie der alte Bischof plötzlich panisch und wollte einen Schritt zurückweichen. Doch Haderlein hielt ihn auf und schob ruckartig den linken Ärmel seiner Jacke nach hinten. Ein blutverkrusteter Unterarm kam zum Vorschein. Griebel versuchte zwar noch, den Stoff wieder zurückzuschieben, aber Haderlein hielt ihn wie im Schraubstock fest und zog ihn quer durch den Saal zu seinem Sohn. Schleycher war bleich geworden.
»Vater?«, presste er ungläubig hervor, während er Altbischof Griebel mit feuchten Augen ansah.
»Ja, Ihr Vater!«, klärte Haderlein unerbittlich auf. »Ihr Vater, der Sie irgendwann, irgendwo mit Ihrer Mutter gezeugt hat. Aber die katholische Kirche duldet eben keine Kinder bei den Protagonisten des Zölibats. Egal auf welcher Ebene. Deswegen beschloss Ihr Vater, Sie zu verleugnen. Er hat Sie verleugnet, aber immer die ›schützende‹ Hand über Sie gehalten. Er hat Sie nach Bamberg ans Ottonianum geholt und im Kloster Kreuzberg unter ahnungslosen Franziskanern versteckt, als die Sache mit Peter Nickles aus dem Ruder lief. Er hat auch versucht, Sie jetzt zu schützen, als Sie im Begriff waren, alles wegen eines kleinen Buchs zu verlieren, das die Wahrheit über Ihre perverse Vergangenheit im Ottonianum ans Tageslicht bringen konnte. Dass niemand das Buch wirklich besaß, konnte er nicht wissen, weshalb Ihr Vater beschloss, auf Nummer sicher zu gehen und einfach alle Mitwisser zu beseitigen. Denn er wollte seinen Sohn beschützen. Den Sohn, der nicht wusste, dass er seinen Vater schon immer kannte.«
Umweltminister Schleycher schaute Griebel an, fiel auf die Knie und brach in Tränen aus. Gabi Haier kniete sich neben ihn und versuchte ihn in seiner Fassungslosigkeit zu trösten.
Haderlein streckte die Hand aus. »Das Buch«, forderte er von Altbischof Griebel, doch der machte keine Anstalten, sich zu bewegen. Sein Blick war starr durch den Hauptkommissar hindurch in weite Ferne gerichtet.
»Das
Weitere Kostenlose Bücher