Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
gemerkt, dass es Peter schon länger nicht mehr gut geht.« Alle schauten Peter Nickles an, der wie ein Häufchen Elend wirkte. Er sah so bleich aus wie ein Gespenst, als wäre alles Blut aus ihm gewichen. Clemens schaute ihn mitleidig an und fuhr fort. »Wer es noch nicht gemerkt hat: Peter hatte in den letzten Monaten regelmäßig Termine beim Regens. Sehr späte Termine.«
Alle starrten Peter Nickles ratlos an, der weiß wie die Wand geworden war und sich krampfhaft mit seinen Händen an die Stuhlkante klammerte. Er hielt den Kopf gesenkt, fixierte seine Füße und zitterte am ganzen Leib. Aber was zum Teufel hatte das zu bedeuten?
»Was hat er denn ausgefressen, dass ihn der Regens dauernd einbestellt?«, fragte jetzt Pankraz Peulendorfer, der Bestrafungsmaßnahmen aus seiner elterlichen Brauerei in Kulmbach zur Genüge kannte.
»Peter hat überhaupt nichts ausgefressen«, erwiderte Clemens brüsk.
»Ja, aber was soll das denn dann?«, erkundigte sich Emil Büttner ängstlich, dem nun gar nicht mehr wohl in seiner Haut war. »Jetzt sag halt schon, Clemens!« Unangenehme Situationen konnte er nicht lange ertragen.
»Genau, jetzt spann uns nicht so auf die Folter«, beharrte nun auch Mozart in seiner unnachahmlichen direkten Art.
Clemens legte Peter Nickles beruhigend die linke Hand auf seinen bebenden Körper.
»Ist schon gut«, beruhigte er ihn. »Wir verschieben das Ganze.« Peter Nickles nickte und begann zu weinen, als die Spannung sich in ihm löste.
»Dann soll halt die Flasche selber erzählen, was los ist«, war jetzt Hubertus Graetzke zu hören.
»Halt du doch die Klappe!«, kam es sofort von Mozart. »Siehst du nicht, dass er fix und fertig ist? Der Einzige, der etwas zu erzählen hat, bist du, Hubertus. Zum Beispiel wär’s gut zu erfahren, wer uns beim Regens verpfiffen hat!«
»Du verdammter …«, wollte Hubertus Graetzke sich auf ihn stürzen, aber Clemens fuhr dazwischen.
»Peter wird jetzt gar nichts erzählen. Wir werden uns heute Abend nach dem Abendessen hier treffen und es noch mal versuchen. Und wenn Peter es dann immer noch nicht schafft, werde ich es tun. Aber jetzt müssen wir runter zum Frühstück, sonst …«
Er wurde von der quietschenden alten Speichertür unterbrochen. Jemand kam gebückt durch die niedrige Öffnung.
Der Regens des Ottonianums Kolonat Schleycher richtete sich in voller Größe auf. Alle hatten sich erhoben und erschauerten ob der Eiseskälte, die sich mit seinem Auftauchen im Stuhllager ausbreitete.
Der Blick von Regens Schleycher blieb auf Clemens Martin ruhen, hinter dem sich Peter Nickles zitternd verkrochen hatte.
»Schau an. Der geheime Bund hat also ein neues Versteck gefunden.« Schleycher ging langsam durch die Runde und nagelte schier jeden mit seinen Blicken ans Dachgebälk. Selbst der sonst so forsche Mozart senkte den Kopf. Clemens, der sich schützend vor Peter Nickles stellte, war der Einzige, der dem Blick des Regens standhielt.
»Und, was hat euch unser fürsorgliches Genie denn so erzählt?«, wollte er mit beißendem Spott in der Stimme wissen. Alle schwiegen. »Hast du mir vielleicht irgendetwas zu deiner Rechtfertigung zu sagen, Clemens?« Der falsche väterliche Ton ließ jeden im Raum frösteln. In der angespannten Stille war laut und deutlich ein »Nein« zu vernehmen. Allen stockte der Atem. Woher nahm Clemens nur den Mut für diesen Affront? Gleich würde sich eine Katastrophe ereignen. Mehrere Jungen hatten schon vorsichtshalber die Augen geschlossen. Das würde schlimm ausgehen – vor allem für Clemens, vor dem sich der Regens nun aufgebaut hatte. Alle hielten den Atem an, doch zu ihrer Überraschung drehte sich Schleycher plötzlich um und ging zur Tür. Sie wollten schon erleichtert aufatmen, als er sich noch einmal umwandte und mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Clemens deutete. Wütend zischte er mit nur mühsam beherrschter Stimme: »Clemens, Peter, in mein Büro … sofort!« Dann verließ er endgültig das Stuhlzimmer.
Clemens fasste Peter Nickles an der Hand, und gemeinsam folgten sie dem Regens. Alle Zurückgebliebenen dachten das Gleiche. Es war jetzt wohl besser, sich schleunigst zum Frühstück zu begeben.
*
Haderlein und Lagerfeld waren wieder auf dem Weg nach Bamberg, als sich das Handy des Kriminalhauptkommissars mit Beethoven bemerkbar machte. Gut, dass die Rückfahrten von Vernehmungen traditionell Lagerfelds Job waren.
»Kriminalhauptkommissar Haderlein?«, meldete er sich.
»Hier Siebenstädter,
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