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Das Alabastergrab

Titel: Das Alabastergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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fünf
Millimeter nach links versetzt. Besonders an diesem verkohlten Kopf hier ist
das gut zu erkennen.« Er blickte um sich, aber niemand der Umstehenden schien
Lust zu verspüren, nachzumessen.
    »Bei der Leiche aus Kronach, die sich noch im Keller befindet, liegt
das Einschussloch interessanterweise fünf Millimeter rechts von der Mitte. Dies
verwirrte mich im ersten Moment tatsächlich, aber nur bis zu dem Augenblick,
als ich erfuhr, dass der Mann kopfüber in seinem Auto gehangen hatte. Dann war
mir alles klar. Na, was sagen Sie jetzt?«
    Mit vor Stolz geschwellter Brust drehte er sich einmal um
dreihundertsechzig Grad, und die Studentenschaft der Universität Erlangen
klatschte pflichtschuldig Beifall.
    Während Siebenstädter sich in der ihm zuteilwerdenden Anerkennung
sonnte, zog Haderlein Lagerfeld von hinten an seinem Hemd. »Los, lass uns
abhauen!«, zischte er seinem jungen Kollegen zu. »Das war doch sowieso schon
klar, deswegen hätten wir hier gar nicht auflaufen müssen. Der wollte lediglich
seine Egoshow vor uns abziehen. Sehen wir zu, dass wir unauffällig wegkommen.«
    Als sich beide Kommissare davonschlichen, konnte Lagerfeld es sich
nicht verkneifen, noch schnell eine Art Tortenhaube hochzuheben, die auf einem
stählernen Rolltisch neben der Eingangstür thronte. Schon beim Betreten des
Raumes hatte er wissen wollen, was sich darunter verbarg.
    »Lagerfeld, lass das!«, warnte Haderlein, doch es war schon zu spät.
Von unter der Haube erhob sich ein Insektenschwarm, und ein unerträglicher
Gestank breitete sich in der Gerichtsmedizin aus.
    »Schmitt? Was machen Sie da?«, rief Siebenstädter streng vom anderen
Ende des Raums. Erschrocken ließ Lagerfeld die Abdeckung aus Acryl fallen. Mit
lautem Dadingdadong hüpfte sie auf dem hellgrauen Boden hin und her.
    »Was zum Teufel ist das?«, stieß Lagerfeld entsetzt aus und
fuchtelte mit beiden Händen, um sich die Armee von Fliegen vom Leib zu halten.
    »Sie haben meine Drosophila melanogaster befreit, Sie
schwachsinniger Beamter. Das ist der Mageninhalt eines gewissen Hubertus
Graetzke, Sie unfähiger Blödmann! Und die Fliegen sollten herausfinden, ob der
Mageninhalt vergiftet war oder nicht. Aber Sie, Sie Volltrottel, Sie haben ja
nichts Besseres zu tun, als meine Versuchsanordnung zu zerstören. Los, alle
hier fangen jetzt die Fliegen wieder ein, bevor eine Eiablage in den Körpern
der Toten stattfindet. Die Leichen hier abdecken, aber zack, zack!«, rief er
den Studenten zu, die bereits wie aufgeschreckte Hühner durcheinanderliefen und
nach Tüchern suchten.
    In der sonst so gediegenen Erlanger Gerichtsmedizin ging es
plötzlich zu wie auf dem Terminal eines Großflughafens. Das allgemeine Getümmel
nutzten Haderlein und Lagerfeld dafür, sich nach draußen zu verdrücken, wo
Kommissar Schmitt sich in den Rasen des Bohlenplatzes übergab. So einen Gestank
konnte selbst er nicht ertragen.
    »Wunderbar!«, kommentierte Haderlein zynisch. »Noch mehr Futter für
Drosophila melanogaster.«
    »Woher kennst du denn dieses Ungeziefer?«, fragte der blasse
Lagerfeld erstaunt, während er sich seinen Mund abwischte.
    »Drosophila ist der größte Feind des Schnapsbrenners«, erwiderte
Haderlein sachlich. »Eine dieser Frucht- oder auch Essigfliegen in der Maische,
und du kannst deinen Schnaps für die Saison vergessen. Richtige kleine
Drecksviecher sind das!«
    Lagerfeld lächelte gequält. Einen Schnaps könnte er jetzt wirklich
brauchen. Vielleicht gab’s ja bei diesem Driesel was Alkoholisches. Leicht
schwankend folgte er Haderlein zu dessen Fiat Multipla.
    *
    Max Newman setzte sich auf die Bettkante und widmete sich wieder
seinem störrischen Radiowecker. »… Suchmeldung der Polizei …«, plärrte das
Radio. Jetzt konnte er sich damit auch Zeit lassen. Das mit dem Schlafen musste
sowieso noch warten. »… gewisser Max Schiller, Spitzname Mozart, wird gebeten,
sich bei der Polizei in Bamberg zu melden oder bei jeder anderen
Polizeidienststelle. Ich wiederhole …«
    Max Newman zog es den Boden unter den Füßen weg. Ungläubig starrte
er den amerikanischen Radiowecker an, der in seinen Hände zitterte.
    Am Frauentorgraben parkte Nikolai seinen Wagen am Straßenrand gleich
neben der alten Stadtmauer. Dann lief er die letzten hundert Meter bis zu der
angegebenen Adresse zu Fuß. Das zweite Schild von unten war leer. Auch gut.
Ohne zu zögern, drückte er auf den Klingelknopf. Ach, was war das schön, wenn
man von seinen Opfern auch noch

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