Das Alabastergrab
noch, wie der lockige
Haarschopf von Newman in der Garage verschwand.
Sofort drehte sich Nikolai um und hetzte durch die Eisentür wieder
zurück das Treppenhaus hinunter.
Max Newman hatte Blut und Wasser unter dem Bett geschwitzt.
Einerseits wegen der Angst, andererseits herrschte unter der Tagesdecke eine
schier unerträgliche Hitze. Aber lieber schwitzen als umgebracht zu werden.
Als er vorhin völlig verzweifelt draußen auf dem Flur gestanden
hatte, war die Tür der Nachbarwohnung aufgegangen, und Domina Beata hatte ihn
in ihr Apartment gezogen. Offenbar hatte sie die Ausweglosigkeit seiner Lage
sofort erkannt und gehandelt.
»Schnell, komm rein, Doktorchen«, flüsterte sie und zog heftig an
seinem gebatikten T-Shirt.
Noch gestern Nachmittag hatte er mit ihr und der restlichen weiblichen
Belegschaft einen fröhlichen Umtrunk auf der Dachterrasse zelebriert. Domina
Beata hatte immer einen vorzüglichen Rotwein auf Lager. Die Festivität fand
immer am Tag statt, bevor er Nachtschicht hatte, denn dann hatte auch er
nachmittags frei. Die »Stoßzeiten« im horizontalen Gewerbe waren ja sowieso
eher die Abendstunden. Newman verstand sich prächtig mit seinen Nachbarinnen –
ganz platonisch natürlich.
Unter dem Bett hörte er über sich die Schreie von Olivia und Mandy,
die seinetwegen zu schauspielerischen Höchstleistungen aufliefen. Er bekam auch
mit, wie die Schranktür aufgerissen wurde und der Mann ohne Umschweife wieder
hinausging. Sekunden später wurde die Bettdecke gehoben, und der mit Goldreifen
behangene Arm von Beata fingerte und zerrte an ihm.
»Schnell, Dr. Max. Rosalie ist auf dem Dach und lenkt ihn ab«,
keuchte sie. Er krabbelte hervor, so schnell er konnte, und versuchte sich noch
zu bedanken, aber Beata winkte ab.
»Hier nimm!« Sie drückte ihm einen Autoschlüssel in die Hand. »Unten
in der rechten Garage steht unser Betriebsauto. Sieh zu, dass du wegkommst! Und
viel Glück, Dr. Max!«
Sie schob ihn aus der Wohnungstür, und Max Newman hechtete die
Treppe hinunter. Neben der Haustür befanden sich zwei Garagen. Er öffnete die
rechte und entdeckte einen alten Golf mit mehr Rostflecken als orangener Farbe.
Er klemmte sich hinter das Lenkrad, startete den Wagen, fuhr ihn vorsichtig aus
der Garage und gab Gas.
Plötzlich splitterte hinter ihm Glas. Die Frontscheibe seines Wagens
war auf der Beifahrerseite von einer Kugel getroffen worden. Eine weitere
zerschmetterte den Beifahrerspiegel. Schnell bog er rechts ab und war damit
erst mal aus dem Schussfeld. Er überlegte fieberhaft. Mit dem Auto brauchte er
erst gar nicht zu versuchen, jemanden abzuhängen, und sein Handy hatte er auch
nicht dabei. Wo zum Geier saß in Nürnberg eigentlich die Polizei? Er hatte sich
nie darüber Gedanken gemacht. Aber jetzt war es sowieso zu spät. Er musste dem
Verfolger entkommen, und es gab nur einen Ort, an dem er sich gut auskannte und
an dem er halbwegs sicher war.
Kurzentschlossen schlug er den Weg zum Tiergarten ein. Vier
Fahrzeuge hinter ihm fädelte sich ein dunkelgrauer BMW in den Verkehrsfluss ein und folgte ihm unauffällig.
*
Haderlein und Lagerfeld hatten auf dem Parkplatz im Hof des
Polizeipräsidiums Mittelfranken in Nürnberg ihren Wagen abgestellt. Der große
Gebäudekomplex des Präsidiums, der an die St.-Elisabeth-Kirche mit ihrer
patinagrünen Kuppel grenzte, war Haderlein nicht unbekannt. Er war schon einige
Male hier gewesen, um an Besprechungen teilzunehmen. An der Pforte mussten sie
kurz warten, aber wenige Minuten später kam eine gemütlich wirkende Gestalt in
legerer Trachtenjacke und Jeans die Treppe herunter und lächelte den Hauptkommissar
erfreut an.
»Hallo, Hannes, du alter Knochen«, begrüßte Haderlein seinen
Bekannten aus früheren Tagen.
»Da müssten wir aber erst mal abstimmen lassen, wer von uns beiden
der ältere Knochen ist«, sagte Driesel lachend und klopfte Haderlein auf die
Schulter.
»Das hier ist mein junger Kollege Bernd Schmitt«, wurde nun auch
Lagerfeld vorgestellt, und die beiden schüttelten sich die Hand.
»Ihr habt in Bamberg ja richtig die Kacke am Dampfen, wie ich gehört
hab.« Hannes Driesel strich sich nachdenklich durch seinen angegrauten
Seemannsbart. »Na, aber kommt erst mal mit nach oben in mein Büro, da haben wir
mehr Ruhe zum Reden.«
Während sie die Treppe hinauf in den dritten Stock gingen,
unterhielten sich Haderlein und Driesel über die guten alten Zeiten und den
einen oder anderen Unsinn, den sie damals in München
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