Das Alabastergrab
indes nur müde ab. »Herr Ministerpräsident, könnten
Sie vielleicht alle Schlafenden wecken? Ich werde mich darum bemühen, die Sache
so schnell wie möglich zu beenden. Dann kann jeder seiner Wege gehen. Fast
jeder.«
»Dann haben Sie den Schuldigen also gefunden?«, fragte die
Justizministerin erstaunt.
»Nun, sagen wir mal so«, begann Haderlein, »ich habe ein paar
Stunden dafür gebraucht, aber die eine oder andere unerwartete Wendung hat mir
schließlich die Augen geöffnet. Und um Ihre Frage zu beantworten, ja, ich für
meinen Teil betrachte den Fall als gelöst. Und ich werde aus diesem
Personenkreis hier im Saal jetzt die Schuldigen benennen und verhaften lassen.«
Im Prunksaal von Banz herrschte eine gespenstische Stille. Noch nie
hatte der Raum so viele schweigsame Politiker erlebt. Dabei hatte Haderlein die
dramatische Pause gar nicht beabsichtigt, er war einfach nur erschöpft. Er
musste noch einmal seine Gedanken ordnen, um dann fortzufahren.
In der Mitte des Raums begann er ohne längere Einleitung, die ganze
Geschichte des Falls zu erzählen, angefangen vom Tod des Anglerkönigs Rast über
das Ableben Graetzkes bis hin zur darauffolgenden Mordserie in ganz
Nordfranken. Als er mit dem Tod Nikolais in der Petrefaktensammlung endete,
waren alle Augen im Raum wach und starr auf ihn gerichtet.
»Beginnen wir mit dem Ableben des Anglerfreundes Edwin Rast. War der
Tod dieses Menschen für viele ein nicht gerade unwillkommenes Ereignis, so ist
nichtsdestotrotz das Umbringen anderer Menschen in unserem Kulturkreis nun mal
verboten. Und zwar egal, wie sehr diese Menschen den Tod auch verdient haben
mögen.« Er ging auf Schleycher zu. »Sie, Herr Umweltminister, wurden von Edwin
Rast erpresst. Erpresst mit der Behauptung, er wäre im Besitz eines Tagebuchs,
das im Jahr 1974 von einem Ihrer Schüler am Ottonianum in Bamberg, Clemens
Martin, geschrieben wurde und in dem steht, was Sie ihm und vor allem seinem
Mitschüler Peter Nickles angetan haben. Etwas von solch großer Abscheulichkeit,
dass ich es lieber dem Gericht überlasse, Ihre ekelhaften Neigungen ans Licht
der Wahrheit zu zerren.«
In diesem Moment ging die Tür auf, und Lagerfeld kam völlig außer
Atem herein. Haderlein drehte sich kurz um, nahm ihn zur Kenntnis und wandte
sich wieder dem Minister zu.
»Das können Sie nicht beweisen«, zischte Kolonat Schleycher trotzig,
doch aus seiner Stimme sprach Unsicherheit.
»Doch, das kann ich beweisen«, lächelte Haderlein müde. »Und auch
Rast hatte herausgefunden, wie er Ihre Taten beweisen konnte.«
Er winkte Lagerfeld zu sich, ließ sich Zeitungsausschnitt und
Fotoapparat geben und hielt beides in die Höhe.
»Dieser Artikel vom Kloster Kreuzberg an der bayerischen Nordgrenze
brachte Rast auf die richtige Spur und schlussendlich auch mich.« Er ging zu
Schleycher und zeigte ihm auf dem Display der Digitalkamera das Bild des
geöffneten Fundaments. »Schauen Sie sich das gut an, Herr Umweltminister«,
sagte er kalt, »dann wissen Sie, dass ich alles beweisen kann.«
Schleycher war alles Blut aus dem Gesicht gewichen. Doch Haderlein
kümmerte sich nicht mehr um ihn. Er war noch lange nicht fertig. »Kolonat
Schleycher ist schuldig oder zumindest mitschuldig des Mordes an Clemens Martin
und Peter Nickles«, sagte er laut. »Aber Kolonat Schleycher ist nicht schuldig
am Tod von Edwin Rast. Dessen Tod war ein raffiniert eingefädeltes Manöver
einer Person, die die Umstände und Beteiligten dieser Erpressungsgeschichte
sehr gut kannte und selbst nicht in Erscheinung treten wollte. Es war eine Glanzleistung
der Intrige und Manipulation, all die Menschen, die Edwin Rast am meisten
hassten, dazu zu bringen, ihn an den Pegelpfeiler zu binden. Dennoch hassten
diese aufgehetzten Menschen ihn nicht so sehr, dass sie ihn umgebracht hätten.
Nein, sie wollten ihm lediglich einen Denkzettel verpassen. Diese eine Person
aber hat Hubertus Graetzke dazu benutzt, in genau dem richtigen Moment das Wehr
in Hausen zu öffnen. Edwin Rast starb also, ohne dass diese Person, die ihn tot
sehen wollte, auch nur einen Finger krümmen musste. Aber wie so oft macht auch
der oder die Cleverste irgendwann mal einen Fehler beziehungsweise ein
Telefonat zu viel.« Haderlein drückte auf die Wahltaste seines Telefons, und
das Handy wählte automatisch die Nummer, die Stefan Wurm im Verhör mit
Huppendorfer preisgegeben hatte. Kommissar Haderlein war keineswegs überrascht,
ein Klingeln in seiner Nähe zu vernehmen.
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