Das Alabastergrab
entweder verschneit oder vereist
ist. Dann kommen nur noch die Wanderer und ein paar Mountainbiker, aber richtig
leer ist es auf dem heiligen Berg der Franken eigentlich nie. Nichtsdestotrotz,
Herr Kommissar, was kann ich für Sie tun?«
»Also«, begann Haderlein, »es geht um einen Mordfall in der Nähe von
Bamberg, bei dessen Ermittlung es mehrere Hinweise gibt, die darauf hindeuten,
dass das Kloster in der ganzen Geschichte eine Rolle spielt.«
Pater Anselm hörte aufmerksam zu und schaute ihn mit wachen Augen
an. Er wirkte erstaunt und besorgt. »Ein Mordfall! Und das Kloster hat damit zu
tun? Und was sind das für Hinweise, Herr Kommissar? Ist die Gemeinschaft oder
ein Bruder irgendwie verdächtig?«
»Das kann ich noch nicht sagen. Im Moment ist noch nichts und
niemand verdächtig. Ich möchte Sie nur um ein paar Auskünfte bitten. Danach
kann es sein, dass Sie mich nie mehr wiedersehen«, beruhigte er ihn.
»Darauf wollte ich gar nicht hinaus, Herr Kommissar«, schmunzelte
Pater Anselm. »Sie können gern so oft kommen, wie Sie wollen. Aber wissen Sie,
das hier ist nicht nur ein Kloster, in dem meine Brüder und ich leben und
beten, sondern auch ein Wirtschaftsunternehmen. Und wenn der Name des Klosters
irgendwie in einen Mordfall hineingezogen werden würde, nun, dann …« Er
stockte.
»Sie meinen, dann wäre das schlecht für den Bierkonsum?«,
schlussfolgerte Haderlein.
»So eindimensional würde ich das zwar nicht sehen, aber vom Prinzip
her haben Sie ins Schwarze getroffen«, stimmte Pater Anselm zu.
»Widerspricht sich das denn nicht mit Ihrem Klosterleben hier?«,
erkundigte sich Kommissar Haderlein nun interessiert. Obwohl er die Regularien
eines Klosters natürlich nicht im Einzelnen kannte, hatte er beim Gedanken
daran immer ein Bild von armen Mönchen im Kopf, die mit nackten Füßen im Garten
Möhren zupften. Vielleicht noch Bierbrauen, okay. Aber wirtschaftlicher Gewinn?
Pater Anselm betrachtete Haderlein etwas mitleidig à la »Wie erklär
ich’s meinem Hund?«, versuchte aber trotzdem, den Geist des Kommissars zu
erhellen.
»Schauen Sie mal, Herr Haderlein. Zuerst einmal gibt es sehr viele
verschiedene Bruderschaften mit sehr verschiedenen Ansichten, wie man in solch
einer Gemeinschaft zu leben hat. Die Franziskaner gehören zu der eher
liberaleren Sorte. Nicht so weltzugewandt wie die Jesuiten, aber doch bei Weitem
offener als beispielsweise die Prämonstratenser.«
»Die, äh, wer?« Für Haderlein klang der Name eher nach einer
ärztlichen Diagnose mit null Überlebenschance.
Der kleine Mönch schnaufte angestrengt. »Sogenannte
Regularkanoniker, gegründet 1120 von Norbert von Xanten. Die Brüder leben bis
heute in absoluter Armut, Zurückgezogenheit und Beschaulichkeit, sodass sie …«
Er verstummte, als er in Haderleins von absoluter Verständnislosigkeit
gekennzeichnetes Gesicht blickte. »Nun, vergessen Sie es einfach. Die brüderliche
Gemeinschaft auf dem Kreuzberg ist jedenfalls dafür verantwortlich, durch
eigener Hände Arbeit für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Niemand hier hat
persönlichen Besitz. Alles, was erarbeitet wird, gehört dem Kloster.«
»Beziehungsweise dem Provinzialat in München«, ergänzte Haderlein.
»Ja, das stimmt«, musste Pater Anselm anerkennend zugeben. Der
Kommissar stellte sich offensichtlich dümmer, als er war.
»Hat Bruder Kolonat Schleycher während seiner Zeit hier auch immer
brav gearbeitet und seine Gewinne abgeliefert?«, ließ er jetzt den Testballon
steigen.
Pater Anselm schaute Haderlein an und schwieg. Man konnte förmlich
sehen, wie sich die Rädchen und Gewinde in seinem Kopf drehten und wie sie
ratterten.
»Ach, es geht also um Schleycher«, nickte er schließlich.
»Sie wissen vom damaligen Aufenthalt des Umweltministers hier?«,
fragte der Kommissar und beobachtete den Mönch vor ihm genau, der sich jetzt
hinter seinen Schreibtisch setzte und die Hände faltete. »Ja, natürlich. Bruder
Kolonat war zum gleichen Zeitpunkt Novize hier wie ich. Was möchten Sie denn
gerne über ihn wissen, Herr Kommissar?«
»Nun, erst einmal alles, was Sie mir erzählen können.« Haderlein
setzte sich in abwartender Haltung auf seinem Holzstuhl zurecht.
»Hm, wo soll ich da anfangen?«, überlegte Anselm laut. »Meines
Wissens besuchte der Generalvikar des Würzburger Bischofs einmal den damaligen
Leiter des Klosters, Bruder Eduard. Es gab eine längere Unterredung, und am
Abend fuhr der Generalvikar dann wieder weg. Tags darauf
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